Am Rande Der Schatten
Kylar war sofort verlegen und wütend, dass er etwas so Persönliches beobachtete. Er war sich nicht sicher, warum. Er fluchte lautlos und wandte sich zum Gehen.
Drei bewaffnete Männer kamen die Straße herunter. Kylar erkannte in zweien von ihnen die Männer, die neulich nachts Goldlöckchen gejagt hatten.
»Sie ist eine Hexerin, ich sage es euch«, erklärte einer der Banditen dem Mann, den Kylar nicht kannte.
»Es ist wahr, Shinga, ich schwöre es«, sagte der andere.
Soll das ein Witz sein? Caernarvons Shinga überprüfte persönlich die Geschichte einiger Banditen über eine Hexerin?
Eine Hexerin! Als hätte eine Hexerin die Männer nur zu Fall gebracht, statt sie zu töten.
Kylar hörte etwas und schaute wieder ins Haus. Die Frau hatte ihren Ehemann geweckt, und jetzt beteten sie beide. Es war seltsam, denn von ihrem Bett aus konnten sie die Sa’kagé-Schläger unmöglich gesehen haben. Vielleicht besaß die Frau ein wenig Magie.
Sie beten um Schutz. Kylar grinste höhnisch, und der kleine, boshafte Teil seiner selbst wollte gehen. Sollte ihr Gott seine Probleme doch selbst lösen. Kylar brachte es fertig, ihnen den Rücken zuzukehren, aber er konnte es nicht tun.
»Barush«, flüsterte einer der Banditen dem Shinga zu. »Was sollen wir tun?«
Der Shinga schlug dem Mann ins Gesicht.
»Tut mir leid! Tut mir leid!«, jammerte der Mann. »Ich meine, Shinga Sniggle, was sollen wir tun?«
»Wir töten sie.«
Gute Götter. Es war verblüffend. Die Sa’kagé hier war eine solch schlechte Parodie einer Sa’kagé, dass Kylar am liebsten laut gelacht hätte. Nur dass es nicht komisch war. Der Shinga schlug Männer, um ihren Respekt zu gewinnen? In Cenaria hatte Pon Dradin die Männer lediglich mit einem Blick zu mustern brauchen, der weniger als volle Anerkennung ausdrückte, und sie waren in sich zusammengesunken. Und er war nicht einmal der echte Shinga gewesen.
Kylar wäre beinahe aus schierem Abscheu gegangen. Was für eine Unfähigkeit!
Trotzdem, man brauchte nicht viel, um zu töten. Ein Blutjunge wusste das.
Oh, es ergab ein hübsches Dilemma, nicht wahr? Hier war er, vielleicht einer der begabtesten Mörder auf der Welt. Er
konnte alle drei Männer töten, bevor sie einen Laut von sich geben konnten. Und doch konnte er sie nicht einmal verletzen. Vor ihm war der Abschaum der Unterwelt, und sie würden töten, während er es nicht konnte. Zauberhaft.
Sie waren nur zwanzig Schritt entfernt. »Was ist, wenn … Was ist, wenn sie wieder Hexerkraft benutzt, Shinga?« Natürlich machten sie sich nicht die Mühe, sich einen Plan zurechtzulegen, bevor sie ihr Opfer erreichten. Das wäre ein wenig zu professionell gewesen.
Barush Sniggle schnaubte und ging auf die Tür zu. »Vor dieser Scheiße habe ich keine Angst.«
Als Kylar die Augen des Mannes sah, fuhr seine Hand an seinen Rücken - aber Vergeltung war fort. Seine vorübergehende Überraschung genügte, um ihn von dem Impuls zu töten zu befreien. Er hatte es geschworen. Verdammt, er hatte es geschworen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Heute Nacht würde es keine andere Möglichkeit geben.
Also erschien Kylar vor dem Shinga. Oder vielmehr, Teile von ihm taten es. Er ließ ein wenig Licht durch den Ka’kari schimmern, der ihn bedeckte, sodass er wie ein Bild aus Rauch wirkte. Die Wölbung eines ölig schimmernden, schwarzen Bizeps war bald sichtbar, bald unsichtbar, dann die Wölbung breiter Schultern, das V seines Oberkörpers, die Linien seiner Brustmuskeln - sie alle übertrieben, sodass sie größter wirkten, als sie in der Realität waren. Es war wie eine Geistererscheinung, die nur gelegentlich sichtbar wurde.
Barush Sniggle erstarrte, dann setzte Kylar zu seinem Meisterstreich an. Der Ka’kari wurde über seinen Augen fest und ließ sie mitten in der Luft wie metallische, schwarze Edelsteine leuchten. Dann erschien der Rest seines Gesichts, bedeckt von einer Maske aus schwarzem, schimmerndem Metall,
das mit seiner Haut verschmolzen war. Es war bedrohlich. Es war mehr als bedrohlich. Es war das Sinnbild des strafenden Gerichts, fleischgewordene Vergeltung, und bei dem, was Kylar in den Augen des Shinga sah - HassNeidGierMordVerrat -, wurde die Maske grimmig. Kylar musste die Fingernägel in die Innenflächen seiner Hände bohren, um sich davon abzuhalten, dem Mann den Garaus zu machen.
Entsetzt ließ der Shinga seinen Knüppel fallen. Kylar war nicht überrascht; er wusste, was der Mann sah - denn, nun ja, er hatte es vor dem
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