Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
Messerstecherei und an das Foto von Chris Dean, das immer noch in seinem Schreibtisch lag. »Sie glauben, es gibt neue Beweise?«
Sie nickte mit ernster Miene. »Wenn dem nicht so wäre, würde ich nicht wagen, Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen.« Sie hielt inne. »Nachdem Sie damals bei mir waren, hatte ich einfach das Gefühl … Na ja, da wusste ich einfach, dass Sie mir helfen würden.« Beschämt sah sie auf ihren Tee hinab.
Und so kam es, dass er einwilligte, sie am nächsten Abend zu Hause zu besuchen. Im Revier erzählte er niemandem davon. Die hätten ihn nur ausgelacht.
Hegarty hatte einen schlechten Tag hinter sich. Zuerst war er nach Hammersmith gefahren und hatte den Putzmann vernommen, der seinen Chef in dem Pub gefunden hatte, auf dem Fußboden, aus einer Halswunde blutend. Auch hier gab es die absehbaren Gang-Connections, und es ging offenbar um Geldschulden. Der Wirt lag mittlerweile im Krankenhaus und war noch zu schwach, um zu sprechen, und mit dem Putzmann kam Hegarty nicht allzu weit, denn er war offenbar kaum des Englischen mächtig und hatte offensichtlich große Angst vor der Polizei.
»Ich nichts sehen«, sagte er immer wieder und blickte sich hektisch um. Vermutlich ein »Scheinasylantensozialschmarotzer«, wie seine Onkel gesagt hätten.
Hegarty versuchte es noch einmal. »Sie haben den Wirt im Büro auf dem Fußboden gefunden. Er hat geblutet. Was geschah dann?«
»Ja.«
»Was ist dann passiert? Haben Sie jemanden gesehen, der aus dem Büro kam?«
»Ja. Ja.«
Hegarty seufzte. »Hören Sie, Mr … äh …« Mist, er hatte sich den Nachnamen aufgeschrieben, aber der hatte einfach zu viele Buchstaben. »Haben Sie jemanden gesehen?«
»Blut. Viel Blut.«
»Ja, Blut. Aber war da ein Mensch? Haben Sie den Angreifer gesehen, äh, den Menschen, der das getan hat?«
»Ja, Blut. Ja.«
Da hatte er es vorerst aufgegeben. Selbst wenn sie die nötigen Mittel zusammenkratzen würden, würde es eine Ewigkeit dauern, bis sie einen Dolmetscher mit den entsprechenden afrikanischen Sprachkenntnissen fanden, und wie sich herausstellte, funktionierte die Überwachungskamera in dem Pub schon seit Monaten nicht mehr. Typisch. Hegarty sah auf seine Armbanduhr; es wurde Zeit, den anderen Ermittlungsansätzen nachzugehen. War es das überhaupt, was er da tat? Hegarty dachte über seine kleinen Ausflüge nach – in den Club und zu Charlotte nach Hause. Warum machte er das, obwohl sein Verdächtiger doch längst in Untersuchungshaft saß? Er sagte sich, dass er dem legendären inneren Gefühl eines Polizisten folgte, von dem sein Vater immer sprach, und dass der Grund nicht nur der sei, dass Charlotte Miller ihn um Hilfe gebeten hatte. Und damit fuhr er ins grünere Belsize Park – und zu ihr.
Dort angelangt erwies es sich als ausgesprochen mühsam, sich mit dieser Keisha zu unterhalten. Sie warf ihm giftige Blicke zu, und als er am Küchentisch Platz nahm, stand sie auf, ging zum Sofa und zappte auf dem stumm gestellten Fernseher herum.
Hegarty war einigermaßen bestürzt über den Zustand der Wohnung. Sie war viel unordentlicher als damals, als er zur Festnahme hier gewesen war. Es sah aus wie bei ihm zu Hause: Schmutzgeschirr überall, und im Altpapier stapelten sich die Pizzaschachteln. Und wo war der Eames Chair abgeblieben? Und das schöne Gemälde, das an der Wand gehangen hatte?
Charlotte sah zwischen ihnen beiden hin und her, und aus der Tasse in ihren zitternden Händen schwappte der Tee. »Keesh, magst du wirklich keinen? Der ist von Tetley.«
»Nein, danke.«
»Es gibt auch Kekse, sehr gute …« Sie verstummte. Hegarty nahm sich einen mit Schokoladensplittern, sehr lecker. Die Sorte hätte er auf dem Revier auch gern gehabt.
Charlotte räusperte sich. »Also, DC … äh, Verzeihung, wie soll ich Sie eigentlich anreden?«
»Solange Sie mich nicht Matty nennen, ist mir das ziemlich egal.« Sie schaute verwirrt. »Matthew, Matt, wie Sie mögen.« Sie waren ungefähr im gleichen Alter, sie und er.
Sie blickte unter ihren Wimpern hervor zu ihm auf. »Ich habe Ihnen ja schon erzählt, dass Keisha zu mir gekommen ist, einige Zeit nach – der ganzen Sache. Das war wirklich sehr freundlich von ihr, denn sie kam, um mich zu warnen.«
Er glaubte, die andere junge Frau schnauben gehört zu haben.
»Sie zu warnen?«
»Der Punkt ist: Keisha war in jener Nacht auch in dem Club, mit ihrem Freund.«
»Moment mal.« Er holte aus seiner Aktentasche den Ausdruck des Handyfotos hervor. »Ist er
Weitere Kostenlose Bücher