Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
leiten, Matthew.« Der Chef strahlte, als hätte er Hegarty gerade ein Weihnachtsgeschenk überreicht. Und gewissermaßen war es ja auch so, denn diese Aufforderung war ein sehr gutes Zeichen.
»Vielen Dank, Sir.« Wow. Jetzt war es wirklich nicht mehr weit bis zur Beförderung. Sein eigenes Ermittlerteam! Und keine Susan mehr, mit ihrer Bibel und ihrem Mundgeruch! Hegarty ging zurück an seinen Schreibtisch und wählte Charlottes Nummer.
Sie sah schon wieder den Tränen nah aus, fand er, als er sie in dem Café in Mornington Crescent traf. Er war vor dem Revier über die Straße gelaufen, zwischen den Bussen hindurch, und hatte sich in dem billigen Lokal erst mal nach anderen Polizisten umgesehen; hier kamen oft welche her. »Charlotte?« Es war das erste Mal, dass er sie so nannte und nicht Miss Miller.
Sie hatte eine Tasse trüben Tee vor sich stehen, und auf der Kunststoff-Tischplatte lagen Zuckerkrümel verstreut. »War es falsch, Sie zu kontaktieren? Ich wusste nicht, ob ich das tun sollte.«
»Ist schon okay.« Er hatte beschlossen, dass es sich um eine Zeugenbefragung handelte; daran war nichts auszusetzen. Auch wenn der Fall offiziell abgeschlossen war. »Worum geht’s denn?«
»Darum.« Seufzend legte sie ein Blatt Papier auf den Tisch. »Dans Eltern haben das bekommen, aber sie weigern sich zu helfen. Sie behaupten, sie wohnen zu weit weg, um hierherzukommen. Nach mir hat er nicht mal gefragt.« Sie sah sehr unglücklich aus.
Hegarty überflog das Schreiben, das von der Gefängnisverwaltung stammte. »Er war also krank.«
Sie nickte. »Erneute Blackouts, hieß es. Sie haben ihn in Einzelhaft verlegt.« Charlotte sah Hegarty aus rot geränderten Augen an. »Das bedeutet, dass er Schwierigkeiten hatte, nicht wahr? Er ist verletzt worden.«
Sie sah auf ihre Hände hinab, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Er war entsetzt darüber, wie sie sich verändert hatte. Sie hatte zugenommen, war schlampig gekleidet, und ihr Haar war stumpf. Aber dennoch: Das änderte gar nichts. Er nahm die Hände vom Tisch, um nicht unwillkürlich nach ihren zu greifen. »Er wird schon wieder. Haftanstalten sind nicht so, wie man das im Fernsehen sieht. Die kümmern sich schon um ihn.«
»Aber ich kann das überhaupt nicht einschätzen! Das ist so schwierig daran: Ich habe ihn seit Wochen nicht gesehen. Ich habe keine Ahnung, wie es ihm geht … Ich kann überhaupt keinen Kontakt zu ihm aufnehmen. Ich nehme an, Sie haben das in den Zeitungen gesehen – diesen ganzen Banker-Butchers -Kram. Das ist wirklich schlimm.«
Hegarty wusste nicht, was er sagen sollte. »Ja, das muss schwierig sein. Und dann sind Sie auch noch ganz allein.«
»Nein, bin ich nicht. Das ist die andere Sache, über die ich mit Ihnen reden wollte.«
Eine Sekunde lang dachte er: Ach du Scheiße, sie hat einen neuen Macker. Aber würde sie dann hier sitzen, den Tränen nah?
»Das ist eine lange Geschichte. Eine Freundin ist vorübergehend bei mir eingezogen. Sie … na ja, das ist ja jetzt auch egal. Sie weiß jedenfalls etwas. Sie heißt Keisha. Ich glaube, Sie haben mal mit ihr gesprochen. Nach der Gerichtsverhandlung.«
Hegarty starrte sie an. Die bockige junge Frau? Die Freundin von Chris Dean? Und die hatte die ganze Zeit bei Charlotte in Hampstead gesteckt? »Ich wusste nicht, dass Sie beide sich kennen.«
»Nein, wir kannten uns vorher auch nicht. Das ist eine lange Geschichte, wie gesagt. Aber jetzt kenne ich sie, und sie weiß etwas. Das war es, was ich Ihnen sagen wollte. Sie weiß wirklich etwas, aber sie weigert sich auszusagen.«
Hegarty lehnte sich zurück. Er hatte davon gehört, dass so etwas vorkam: Ein Angehöriger oder Ehepartner von jemandem, den man festgenommen hatte, kam Wochen, Monate oder gar Jahre später zu einem, mit irgendeinem »neuen« Beweis, der angeblich ganz deutlich zeigte, dass der geliebte Mensch dieses schreckliche Verbrechen auf keinen Fall begangen haben konnte. Diese Leute erstellten ganze Websites oder schickten Pakete voller Dokumente, und zwar oft so, dass man Nachporto zahlen musste. Er sollte den abscheulichen Tee austrinken und gehen. »Und was wollen Sie jetzt von mir?«, fragte er, so freundlich er nur konnte.
»Ich dachte … Würden Sie mal zu uns kommen und mit ihr sprechen? Sie leidet ein wenig an Verfolgungswahn, aber ich verspreche Ihnen, sie weiß wirklich etwas.«
Hegarty war kurz davor, aufzustehen und zu gehen. War er wirklich. Doch dann dachte er an den neuen Fall von
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