Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
Ihnen das nicht klar? Sie ist da draußen – und sie wartet jeden Tag darauf, dass Sie endlich anfangen, sich zu wehren.«
Stockbridge sah wieder auf seine Hände hinab, die immer noch zitterten. »Sie scheinen eine ganze Menge über meine Verlobte zu wissen, Officer.«
Hegarty gab dem Vollzugsbeamten einen Wink. »Besorgen Sie sich einen Anwalt, Stockbridge. Zeigen Sie ihr, dass sie einen Grund hat, auf Sie zu warten.«
Stockbridge dachte einen Moment darüber nach. »Und was ist, wenn ich das gar nicht will?«
Dann schnappt Ihnen ein anderer diese Frau im Handumdrehen weg , dachte Hegarty, sprach es aber nicht aus. »Wir sehen uns vor Gericht, Dan.«
Die Tür schloss sich scheppernd, als er Stockbridge in dem kleinen, fensterlosen Raum zurückließ.
Teil vier
Charlotte
Als Nächstes wurde der Gerichtstermin festgesetzt. Das erfuhr sie natürlich nicht von Dan, der nicht einmal ihre Briefe annahm, sondern von Hegarty, der sie anrief, um ihr Bescheid zu sagen.
Sie war gerade auf dem Weg zur Arbeit, ging die Tottenham Court Road entlang. »Wie bitte? Oh, Entschuldigung, der Verkehr ist so laut. Was haben Sie gesagt?«
»Der Gerichtstermin. Ich hab’s gerade erfahren. Der Crown Prosecution Service wird Sie auch noch informieren, aber ich dachte mir, Sie wollen das bestimmt so schnell wie möglich hören.«
Sie blieb stehen. »Wann?«
»Im Oktober. Große Verfahren führen sie nicht gern im Sommer.«
Der Verkehrslärm war ohrenbetäubend, und einen Moment lang hatte Charlotte das Gefühl, gleich an dem Staub und den Abgasen zu ersticken. »Weiß er davon? Hat man ihm das mitgeteilt?«
»Ja, klar, er soll ja Zeit haben, sich auf seine Verteidigung vorzubereiten.«
»Er braucht einen Anwalt. Engagiert er einen?«
Hegartys Stimme am anderen Ende klang sehr freundlich. »Ich war nur etwa zehn Minuten bei ihm. Auf dieses Thema sind wir nicht groß zu sprechen gekommen.«
Herrgott noch mal, sie hatte sich solche Hoffnungen gemacht, als Matthew – DC Hegarty – eingewilligt hatte, Dan im Gefängnis zu besuchen. Aber es hatte sich nichts geändert. Keiner sprach mehr über Dan. Keiner dachte an ihn. Es war, als wäre er vom Erdboden verschluckt, und das schien auch niemanden zu kümmern. Nur sie.
»Charlotte? Bereiten Sie sich auf Ihre Zeugenaussage vor. Die Staatsanwaltschaft wird Sie mit ziemlicher Sicherheit aufrufen.«
Mit einem Mal hatte Charlotte sie beide vor Augen, wie sie Seite an Seite im Gerichtssaal darauf warteten, ihre Aussage zu machen – und Dan am anderen Ende des Raums auf der Anklagebank. »Und Keisha?«
»Nur wenn sie vorher bei der Polizei aussagt. Ich habe ihre Geschichte mal ein bisschen unter die Lupe genommen, aber …«
»Aber?«
Er seufzte. »Ich konnte nichts finden. Keinen Taxifahrer, nichts.«
»Oh. Hören Sie, es tut mir sehr leid, dass sie so unhöflich war, als Sie bei uns waren. Sie ist einfach noch nicht so weit. Könnten … Könnten wir uns noch mal treffen, aber nicht bei mir zu Hause? Auf einen Kaffee oder so?«
Er fragte nicht, warum sie ihn noch einmal sehen wollte, und in der Pause, die entstand, spürte sie überdeutlich ihr Herz pochen.
»Die Sache ist die: Ich verreise demnächst für eine Weile. Ein Freund von mir heiratet – in Australien.« Sie hörte ihn seufzen. »Oder wie wär’s zum Abendessen?«, fragte er. »Falls wir das vor meinem Abflug noch hinbekommen. Vielleicht morgen? Ich kenne da ein Restaurant ganz bei Ihnen in der Nähe.«
Ihr stockte der Atem. »Das wäre wunderbar. Simsen Sie mir die Adresse?«
In London machte kein Mensch so kurzfristige Pläne. Aber er hatte es vorgeschlagen, und sie hatte Ja gesagt. Sie ging weiter, auf weichen Knien.
Charlottes neuester Job war in einem Obdachlosenasyl, und sie war nervös. Seltsam, sich vorzustellen, dass es so einen Ort hier überhaupt gab, gleich hinter all den schicken Boutiquen und Firmensitzen. Wie es sich traf, war ihr ehemaliges Büro nicht allzu weit entfernt. Jetzt fehlte nur noch, dass Chloe oder Tory sie dabei sahen, wie sie ein Obdachlosenasyl betrat.
Dann folgte ein Schock. Wie es sie getroffen hatte, als sie an ihrem Verlobungsrestaurant vorbeigekommen war, sah sie jetzt, als sie um eine Ecke bog, diese Bar. Das war das Dumme, wenn man immer in der gleichen Gegend arbeitete und ausging: Bald fing es auf den Straßen dort geradezu an zu spuken; es wimmelte von den Gespenstern der Verflossenen, von Erinnerungen an durchzechte Nächte und fast schon vergessene Küsse. Bei all
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