Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
blauen Augen und überlegte kurz, ob sie Keisha davon erzählen sollte. Aber weshalb ihr Angst einjagen? Das war niemand, nur irgend so ein Loser. Da spielte ihr sicherlich nur ihre Phantasie einen Streich. »Hör mal, Dans Gerichtstermin wurde festgesetzt. Er ist im Oktober.«
Keisha hielt inne, einen Becher in der Hand. »Und was jetzt?«
Charlotte setzte sich aufs Sofa, immer noch niedergeschlagen. Diese Hoffnungslosigkeit. Es war, als wäre ihr das unter die Haut gedrungen und als hätte sie es mit sich nach Hause getragen. »Wir müssen einen Anwalt engagieren, Dan dazu bringen, dass er sich nicht schuldig bekennt … Und dann deine Aussage.«
Der Wasserkessel schaltete sich mit einem schnappenden Geräusch ab, und Keisha goss das Teewasser auf und beachtete Charlotte überhaupt nicht. »Willst du eine von deinen müffelnden parfümierten Sorten?«
O Gott, es würde nie ein Ende nehmen. Noch mit vierzig würden sie sich die Wohnung teilen, und Keisha würde immer noch über ihre Teebeutel rummotzen. »Ich brauche deine Aussage.«
»Hä?«
»Keisha, hörst du mir mal bitte kurz zu? Das alles ist jetzt schon Monate her. Wirst du mir nun helfen oder nicht? Kannst du es nicht wenigstens aufschreiben, damit ich so was wie ein Dossier habe?«
»Ein Dos-was?«
Charlotte funkelte sie an – sie wusste inzwischen, dass Keisha zehnmal schneller von Begriff war, als sie tat. »Du willst doch Ruby wiederhaben, nicht wahr?«
»Das weißt du doch. Verdammt noch mal. Es ist alles nicht so einfach.«
»Tja, aber um das zu erreichen, musst du deine Seite der Geschichte erzählen. Das mit Chris erklären. Wir sollten beide alles aufschreiben, was wir wissen, sonst vergessen wir womöglich noch irgendwas. Schau mal, die werden Ruby doch nicht dabehalten wollen, wenn sie zu der Auffassung kommen, dass es okay ist, sie dir wiederzugeben. Das ist doch auch viel billiger, oder?«
Keisha kniff die Augen zusammen. »Da, wo sie ist, ist sie in Sicherheit«, murmelte sie. »Apropos: Du hast mir immer noch nicht erzählt, was du in dieser Nacht gesehen hast.«
Charlotte schob den Gedanken an den blauäugigen Mann beiseite. »Wie gesagt, es ist alles verschwommen.«
»Kommt mir bloß komisch vor, dass du dich immer noch nicht daran erinnern kannst nach dieser ganzen Zeit.«
»Tja, aber so ist das nun mal. Komm, wir schreiben das richtig schön PR-mäßig auf«, sagte Charlotte und drückte Keisha einen Stift in die Hand. »Ich kann ja nicht viel, aber so was beherrsche ich im Schlaf.«
Und in diesem Moment kam Sarah. Sie erwarteten niemanden, natürlich nicht: In London bekam man keinen unangekündigten Besuch. Als daher die Klingel schellte, machte Charlottes Herz einen Satz, und sie dachte an die Schmiererei auf der Eingangsstufe und an die Schritte hinter ihr …
Keisha erstarrte ebenfalls. »Wer ist das?«
»Weiß ich nicht.«
»Na, geh doch mal hin.«
»Hallo? Hallo?« Charlottes Puls beruhigte sich wieder, als Sarahs herrischer Tonfall aus der Sprechanlage drang. Dann dachte sie: Oh, Mist, Mum schickt sie. Sie soll nach mir sehen . Sie betätigte den Türöffner und spähte das Treppenhaus hinab. »Was machst du denn hier? Was für eine Überraschung.«
Ihre Halbschwester umarmte sie wenig herzlich. Sie trug ihre Fahrradkluft und hielt ihren hässlichen Helm unterm Arm. »Gail hat erzählt, sie hat hier angerufen, und da wäre irgendein Mädchen rangegangen. Du weißt ja, sie macht sich Sorgen.«
Keisha schaffte es beinahe, optisch mit den Küchenschränken im Hintergrund zu verschmelzen. »Äh, ja. Das war ich.«
»Keesh, darf ich vorstellen: meine Halbschwester Sarah«, sagte Charlotte. »Sarah, Keisha wohnt jetzt bei mir. Sie ist … eine Freundin.« Eine Freundin? Eine Mitbewohnerin? Wie sollte sie erklären, was sie zusammengebracht hatte? Sarah sah Keisha auf ihre übliche herablassende Art an und war damit kurz davor, ihr mächtig auf den Geist zu gehen, das merkte Charlotte sofort. »Keisha macht gerade Tee.«
Sarah ließ den Blick durch die Wohnung schweifen. »Ich nehme Pfefferminz, danke. Hast du etwa deine Putze rausgeschmissen, Char?«
»Sarah, setz dich doch bitte. Ich habe gerade erfahren, dass Dans Gerichtstermin festgesetzt wurde.«
»Ich auch. Deshalb bin ich hier.« Sarah legte ihren Fahrradhelm ab, und Keisha brachte ihr mit ausgestrecktem Arm einen Pfefferminztee.
Ja, natürlich, Sarah bekam durch ihre Arbeit immer alles mit, das war ihr großes Ding. Und es war unglaublich nervig. »Wie
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