Am Rande wohnen die Wilden
zu früh geschah das.
»Aber, wer hat euch denn.« Bracke brach ab und blickte Karin mit schmerzlich verzogenem Gesicht an. Dann schien er zu begreifen und zwinkerte ihr schließlich dankbar zu.
Sie atmete auf. Schon bei den ersten Fragen Teklas hatte sie die Zusammenhänge geahnt. Es war kaum anzunehmen, daß die Mornen Verständnis dafür aufbringen würden, daß intelligente Wesen mit Fäusten aufeinander einschlugen, um sich gegenseitig kampfunfähig zu machen. Im Augenblick war die Gefahr zwar gebannt, aber aufgeschoben war nicht aufgehoben. Die Mornin hatte zweifellos Brackes Verwirrung bemerkt und schwieg aus diesem Grund, aber irgendwann würden diese Fragen wieder gestellt werden, und was dann? Oder was war zu tun, wenn die Mornen gar auf die Idee verfielen, sich dieses »Experiment« ansehen zu wollen? Meist bestanden sie recht hartnäckig auf einem einmal geäußerten Wunsch. Es würde keinen Sinn haben, ihnen etwas ausreden zu wollen. Zu spät dachte sie daran, daß es den Mornen ein leichtes war, ihre Gefühle zu analysieren. Sie versuchte einige Worte aus der leisen Unterhaltung zwischen Tekla und Bojan zu verstehen, aber beide hatten ihre Translater auf geringste Lautstärke geregelt.
Und dann geschah das, wovor sie sich eben noch gefürchtet hatte. Die Mornin bat, daß die Menschen ihnen Gelegenheit geben möchten, sich das am nächsten Tag stattfindende Experiment anzusehen. Wieder sagte sie »Experiment«. Es war einfach grotesk, und Karin wußte beim besten Willen nicht, ob sie lachen oder traurig sein sollte. Sie wußte, daß sie nicht die Kraft haben würde, ihnen reinen Wein einzuschenken. Und so würde ihr wohl nichts anderes übrigbleiben, als mit anzusehen, wie den Mornen gleich zu Anfang ihrer Untersuchungen auf der Erde einer der dunkelsten Urtriebe der Menschen vor Augen geführt wurde.
Plötzlich überlief es sie siedendheiß. Sie würde nicht umhin können, die Mornen zu begleiten. Und was würde werden, wenn sie ein Kind erwartete? Sie hatte irgendwann einmal gehört, daß die Frucht durch seelische Erregungen der Mutter beeinträchtigt werden könne, und sie glaubte daran.
Sie versuchte sich selbst zu beruhigen, indem sie sich sagte, daß weder ihre Schwangerschaft noch die Tatsache einer seelischen Beeinflussung der Frucht in einem so frühen Stadium sicher waren, aber der Trost schien zu schwach, um sie ruhiger werden zu lassen. So beschloß sie, in den nächsten Tagen einen Arzt aufzusuchen, um sich wenigstens über ihren Zustand Gewißheit zu verschaffen. Außerdem würde sie den Arzt über die tatsächlichen Gefahren durch seelische Schocks konsultieren. Jetzt fühlte sie sich allein und hilflos, und sie begriff nicht, daß ausgerechnet sie, die in allen Belangen des Lebens sicher und in sich gefestigt war, unter dem Alleinsein litt.
Neben ihr war Brackes Stimme, leise und tief. »Sie sind blaß geworden, Karin«, flüsterte er. »Setzen Sie sich einen Augenblick.« Er berührte sie leicht am Arm.
Jetzt ist alles klar, dachte sie. Gleich wird mir übel werden, und dann werde ich vielleicht sogar ohnmächtig. Genau, wie man es mir geschildert hat. Fast fühlte sie sich glücklich in ihrer Hilflosigkeit und in Erwartung der Ohnmacht.
Aber alles blieb, wie es war. Brackes Hand auf ihrem Arm und die Mornen und das Pochen des Blutes in den Schläfen. »Es wird nicht so schlimm werden«, versuchte Bracke sie zu trösten: »Sie werden es überstehen, glaube ich.«
Sie blickte ihn an. Sein Gesicht zeigte Teilnahme und ganz hinten in den Augen ein kleines Lächeln. Was wußte er schon von den schweren oder glücklichen Stunden einer Frau? Dieser Mann vom Mond, der bestimmt eine Menge von seinen Meßgeräten verstand, der ein ausgezeichneter Organisator sein mochte und vielleicht auch ein guter Kamerad, aber von Frauen verstand er sicherlich nicht mehr als beispielsweise Schesternjow.
Und nun diese Fürsorge für eine Frau, die, wenn überhaupt, so doch erst im zweiten Monat schwanger war. Aber es war sehr nett von ihm, daß er sich um sie sorgte.
Und dann fiel ihr ein, daß er nicht sie oder ihren Zustand, sondern ganz einfach den morgigen Boxkampf meinte, und sie biß sich auf die Lippen, um nicht über sich selbst in lautes Lachen ausbrechen zu müssen.
Selbstverständlich würde sie den Anblick des morgigen Kampfes überstehen. Notfalls würde sie die Augen hinter der Sonnenbrille schließen.
Sie legte die Hand auf Brackes hilfsbereit ausgestreckten Arm. »Danke,
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