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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Ergänzung. Das war ja der Haken
an der Sache. Wenn ich freie Hand gehabt hätte … aber ich musste auf den
Pseudo-Modernismus von diesem Sorenson Rücksicht nehmen …» Er brach ab, holte
tief Atem und fuhr ruhiger fort: «Wissen Sie, als man die Synagoge plante,
wurden verschiedene Kommissionen gebildet. Ich war ziemlich überrascht, dass
man mich nicht in die Baukommission wählte – schließlich bin ich der einzige Architekt
in der Gemeinde. Ich deutete es sogar einmal Jake Wasserman an … ganz
beiläufig. Er sagte, er habe mich schon vorgeschlagen, aber der Vorstand hätte
gefunden, man sollte mich eher auffordern, selber einen Entwurf einzureichen, und
da könnte ich schließlich nicht gut in der Kommission sitzen, die über die
endgültige Wahl beschließt … Schön und gut. Und wie’s dann so weit war, bin ich
eben nicht aufgefordert worden. Ich bitte Sie, Rabbi – ich kann doch
nicht einfach auf gut Glück etwas einreichen, ohne dass man mich … Schließlich
bin ich ein angesehener Architekt und nicht irgendwer! Ja, ich weiß: Es heißt,
ich war nur hinter dem Auftrag her. Hinter dem Geld … Rabbi, ich schwör’s
Ihnen: Ich hätte keinen Cent genommen. Bloß meine Spesen … Na, ich hab mich
dann mal vorsichtig erkundigt. Da hieß es, das Projekt sei noch lange nicht
aktuell … Und was hör ich als Nächstes? Christian Sorenson hat den Auftrag
gekriegt – ein Nichtjude, mit Verlaub! Haben Sie Worte? Erst wählt man mich nicht
in die Baukommission, weil ich Architekt bin und selber einen Entwurf … Und
dann werd ich ausgespielt.»
    Miriam schüttelte verständnisvoll den Kopf.
    «Ich mache Jake Wasserman keinen Vorwurf. Er war hochanständig
und hat mir die Stange gehalten; er hat mich ja dann auch in den Vorstand
geholt. Aber diese Idioten von der Baukommission … Nehmen irgendeinen Bluffer,
nur weil er bei einer bekannten Firma arbeitet, die ein paar Kirchen gebaut
hat.»
    «Gewiss …», fing der Rabbi an.
    «Aber jetzt bin ich Gemeindevorsteher und damit automatisch
Vorsitzender der Baukommission. Diesmal wird man mich nicht ausspielen!»
Schwarz schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
    Dem Rabbi war die Szene peinlich. «So ein Gebäude kostet
doch sicherlich sehr viel Geld?»
    «Der alte Goralsky wird es geben, ich bin davon überzeugt. Ich
hab mit ihm gesprochen. Ich hab ihm mein Projekt geschildert und alles erklärt.
Es gefällt ihm.»
    «Aber … Brauchen wir es wirklich?»
    «Wie können Sie so etwas sagen, Rabbi? Es handelt sich doch
nicht nur darum, ob man’s wirklich braucht ! Es ist eine Sache der
geistigen Einstellung. Sehen Sie sich die großen Kathedralen in Europa an – da
hat auch kein Mensch danach gefragt, ob man sie wirklich gebraucht hat …
Voriges Jahr waren wir dort. In Italien, zusammen mit den Wolffs. Und wissen
Sie, was mich am meisten beeindruckt hat – mich als gläubigen Juden? Die
Kirchen, die Kathedralen! Nicht nur vom architektonischen Standpunkt aus – nein.
Es war noch etwas ganz anderes. In Florenz zum Beispiel, in Santa Croce … Charlie
Wolff sagte zu mir, und dabei versteht er von nichts was als von
Damenoberbekleidung: ‹Mort›, sagt er, ‹das war für mich ein religiöses Erlebnis›
… Und da dachte ich mir, warum kann ich nicht einen Tempel bauen, der unseren
Leuten ein ähnliches Gefühl gibt? Warum sollte ich’s nicht wenigstens
versuchen?»
    «Manchmal», sagte der Rabbi bedächtig, «verwechseln wir Ästhetik
mit religiösem Erlebnis.»
    «Ich fürchte, Ethel», sagte Schwarz mit bitterem Lächeln, «dass
der Rabbi von unserem Projekt nicht sehr begeistert ist.»
    Der Rabbi errötete. «Es wäre geheuchelt, wenn ich
behauptete, dass mir das Aussehen und die Größe meiner Synagoge gleichgültig
wären. Aber Raum nur um des Raumes willen? Wenn keine Notwendigkeit dafür
besteht? Nicht einmal in absehbarer Zukunft? Barnard’s Crossing ist eine kleine
Gemeinde, und selbst an Feiertagen haben wir meist noch leere Plätze …»
    «Soll das heißen, dass Sie Goralsky die Stiftung ausreden wollen?»
    «Nein. Aber wenn er mich fragen sollte, was ich davon
halte, müsste ich ihm wohl meine Meinung sagen.»
    «Dass Sie dagegen sind?»
    «Das hängt davon ab, was er mich fragen würde», schränkte
der Rabbi ein.
    «Was soll das heißen?»
    «Na ja, wenn er mich fragen würde, ob ich etwas gegen den
Neubau einzuwenden hätte, würde ich sagen, dass von traditioneller Sicht aus
nichts dagegen spricht.» Er zuckte die Achseln. «Wenn er aber

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