Am Samstag aß der Rabbi nichts
und gut war, solange
es nur um uns zwei ging. Aber jetzt erwarte ich ein Kind!»
«Aber Miriam … Hast du Angst, ich könnte meine Stelle verlieren
und dich und das Kind nicht mehr ernähren? Ich bitte dich! Solange wir nicht im
Luxus leben wollen … Wenn’s nicht hier ist, dann eben woanders. Und wenn ich keine
Gemeinde finde, kann ich eine Lehrerstelle annehmen; oder schlimmstenfalls such
ich mir einen Posten als Buchhalter oder so was … Man braucht keine
Rabbinerstelle, um Rabbi zu sein; früher durfte der Rabbi für das Lehren nicht
einmal Geld nehmen: ‹Mach nicht aus der Thora eine Hacke, um mit ihr zu graben›,
heißt es. Aber glaub nicht, dass ich mir keine Gedanken mache. Ich bin mir
meiner Verantwortung voll bewusst … Und was Schwarz angeht – Miriam, mein Vater
war auch Rabbiner. Einmal war ich dabei, wie er mit einem Gemeindemitglied eine
Auseinandersetzung hatte; hinterher sagte er: ‹David, im Leben muss man manchmal
wählen, ob man Gott oder den Menschen gefallen will. Auf lange Sicht ist es
besser, Gott zu gefallen – er hat das bessere Gedächtnis …›»
Miriam schwieg lange; dann sagte sie leise: «David, ich möchte
nicht, dass du etwas gegen deine Überzeugung tust. Nur …» Sie blickte zu ihm
hoch: «Könnten wir nicht bitte Gott gefallen, nachdem das Baby da ist?»
11
Am nächsten Mittag hielt ein Taxi vor der Haustür des
Rabbi. Ein schlanker, trotz des schütteren Haars jungenhaft wirkender Mann von
Anfang vierzig stieg aus; auf den ersten Blick hätte man ihn fast für einen
Studenten halten können. Aber dann sah man das lange, schmale Gesicht mit den
wissenden Augen. Der Mann trug feste englische Schuhe, graue Flanellhosen und
eine Tweedjacke.
Der Besucher stellte sich als Dr. Ronald Sykes vor. «Ich komme
wegen meines verstorbenen Freundes und Kollegen Isaac Hirsh», sagte er, nachdem
er im Arbeitszimmer des Rabbi Platz genommen hatte. «Sie haben sicherlich von
seinem Tod gehört.»
«Ja …» Der Rabbi nickte und fuhr leicht verlegen fort: «Aber
ich habe ihn nicht gekannt. Er war kein Mitglied meiner Gemeinde, soviel ich
weiß.»
«Ach so … Ich dachte, Sie kennen ihn, weil … Er war schließlich
Jude, und er wohnte hier.»
Der Rabbi schüttelte langsam den Kopf.
«Nun, er ist Freitagabend gestorben, und seine Frau,
vielmehr seine Witwe, möchte ihn nach jüdischem Ritus beisetzen lassen. Ist das
möglich? Ich meine, weil er kein Mitglied Ihrer Gemeinde war?»
«Sicherlich. Unser Friedhof ist zwar nur für
Gemeindemitglieder bestimmt, aber es können auch andere Juden dort bestattet
werden – gegen einen geringen Beitrag werden sie nominelle Mitglieder.
Allerdings schließt das den Preis für das Grab nicht mit ein. Andererseits kann
Mr. Hirsh als Bewohner von Barnard’s Crossing auch auf dem städtischen Friedhof
Grove Hill beigesetzt werden. Ich könnte ihn auch dort nach jüdischem Ritus
beerdigen.»
Dr. Sykes schüttelte den Kopf. «Nein, ich glaube, dass ihn
Mrs. Hirsh unter seinesgleichen beisetzen lassen möchte. Mrs. Hirsh ist nicht
jüdisch.»
«Ach so …»
Sykes bemerkte das Zögern. «Macht das einen Unterschied?»,
fragte er.
«Unter Umständen schon … In dem Fall müsste ich die Gewissheit
haben, dass der Verstorbene tatsächlich Jude war, das heißt, ob er Jude
geblieben ist.»
«Ich verstehe nicht ganz … Seine Frau betrachtet ihn als Juden,
und seitdem wir uns kennen – also seit einem Jahr –, hat er sich nie als etwas
anderes ausgegeben.»
Der Rabbi lächelte. «Es ist eine religiöse und nicht so
sehr eine ethische Unterscheidung. Das Kind einer jüdischen Mutter – wohlverstanden,
die Mutter und nicht der Vater ist ausschlaggebend – gilt automatisch als
jüdisch, sofern es nicht zu einer anderen Religion übergetreten ist oder sein Judentum
öffentlich verleugnet hat.»
«Soviel ich weiß, gehörte er keiner anderen Kirche an.»
«Sie sagten, Mrs. Hirsh sei nicht jüdisch. Ist sie
katholisch? Oder protestantisch?»
«Also, das weiß ich nun wirklich nicht … Ich glaube,
anglikanisch. Jedenfalls war der anglikanische Pfarrer bei ihr, als ich sie
besuchte.»
«Die Sache ist so: Wenn die beiden zu mir gekommen wären
und mich gebeten hätten, sie zu trauen, hätte ich es nur unter der
Voraussetzung tun können, dass sie zum Judentum übergetreten wäre.
Möglicherweise hat sich Mr. Hirsh taufen lassen, ehe er heiratete … Sagen Sie,
warum hat sich Mrs. Hirsh nicht selbst mit mir in
Weitere Kostenlose Bücher