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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Verbindung gesetzt?»
    «Sie hat den Schock noch nicht überwunden, Rabbi. Sie kriegt
noch Beruhigungsmittel, und … Na, als Abteilungsleiter ihres Mannes – als
seinen Chef, wenn Sie so wollen – hat sie mich gebeten, alle Formalitäten zu
erledigen. Und was seine Religion betrifft, so glaube ich kaum, dass er sich auch
nur der Form halber hätte taufen lassen. Er hat sich nie viel aus dem ganzen
Klimbim gemacht …» Er hielt erschrocken inne. «Verzeihen Sie, aber das hat er
mal gesagt. Es waren seine eigenen Worte. Soviel ich weiß, hatte er keinerlei
religiöse Bindungen … Armer Teufel; wenn er am letzten Freitag zur Synagoge
gegangen wäre wie alle anderen Juden, wäre er vielleicht noch am Leben.»
    «Ach, er starb ganz unerwartet?»
    «Er wurde tot in seiner Garage gefunden. Patricia Hirsh rief
mich am nächsten Morgen an, und ich bin gleich hinübergefahren.»
    «Herzschlag?»
    «Kohlenmonoxyd.»
    «Oh …» Der Rabbi, der entspannt dagesessen hatte, richtete
sich auf und begann nachdenklich mit den Fingern auf der Schreibtischplatte zu
trommeln.
    «Sie denken an Selbstmord, Rabbi? Würde das etwas an der
Sache ändern?»
    «Unter Umständen schon.»
    «Man kann die Möglichkeit eines Selbstmordes wohl nicht
ausschließen», sagte Sykes langsam; «obwohl … Er hat keine Zeile hinterlassen.
Wenn er sich umgebracht hätte, würde er doch einen Brief an seine Frau … Er hat
sie sehr geliebt. Jedenfalls, im amtlichen Protokoll steht ‹Unfalltod›. Wissen
Sie, er hatte eine Unmenge getrunken …»
    «Sie meinen, er war betrunken?»
    «Sehr wahrscheinlich. Er hat in relativ kurzer Zeit eine halbe
Flasche Wodka gekippt. Vermutlich ist er ohnmächtig geworden, während der Motor
noch lief.»
    «War er ein starker Trinker?»
    «Er war Alkoholiker. Aber seit er bei uns arbeitete, war
nie etwas passiert … Diese Menschen trinken ja oft lange Zeit nichts; bloß wenn
sie mal angefangen haben, können sie nicht mehr aufhören.»
    «Und hat sich das nicht auf seine Arbeit ausgewirkt? Was war
er übrigens von Beruf?»
    «Er war Mathematiker in meiner Abteilung am Goddard Forschungs-
und Entwicklungslaboratorium.»
    Der Rabbi nickte nachdenklich. «Alkoholiker sind bei uns sehr
selten. Es wundert mich, dass Sie ihn trotz diesem … diesem Handikap
eingestellt haben.»
    «Wissen Sie, Rabbi, gute Mathematiker gibt’s nicht in Scharen,
wenigstens nicht vom Format eines Isaac Hirsh … Vielleicht erklärt es den Grund
für seine Einstellung und zugleich für sein Trinken, wenn ich Ihnen sage, dass
er mit Fermi zusammen an der Atombombe gearbeitet hat. Und er ist nicht der
Einzige, dem das später zu schaffen gemacht hat – nach Hiroshima.»
    «Dann kann er auch nicht mehr jung gewesen sein.»
    «Anfang fünfzig. Er ist 1935 in Harvard promoviert worden … Ich auch, aber erst 1943 .»
    «Und trotzdem waren Sie sein Vorgesetzter?»
    «Eigentlich nur, weil ich zuerst dort war. Ich bin gleich nach
der Universität bei Goddard eingetreten.»
    «Hm, hm, ja … Wie haben Sie ihn angeredet?»
    «Wie ich ihn … Ach so.» Er errötete ein wenig. «Meistens einfach
‹Doktor›. Er war ja viel älter als ich, nicht wahr? Manchmal nannte er mich
Ronald oder Ron, und ich sagte Ike zu ihm … Aber meistens blieb es doch beim ‹Doktor›,
weil … Sehen Sie, da sind dauernd irgendwelche Techniker dabei, und wenn man
sich da beim Vornamen anredet, fangen die auch an, uns so zu nennen, und aus
ist’s mit der Disziplin … Sagt jedenfalls unser Direktor. Er war früher bei der
Armee.»
    «Ich verstehe.» Der Rabbi dachte einen Augenblick nach. «Es
ist wohl am besten, wenn ich selbst mit Mrs. Hirsh spreche. Kann ich sie im
Laufe des Nachmittags besuchen?»
    «Ich denke schon … Ja, sicher.»
    «Setzen Sie sich unterdessen am besten mit dem Vorsitzenden
unserer Friedhofskommission in Verbindung. Wenn Sie wollen, kann ich Mr. Brown
gleich mal anrufen – kennen Sie ihn vielleicht? Marvin Brown. Er ist
Versicherungskaufmann.»
    «Nein.» Sykes schüttelte den Kopf. «Wenn ich ihn jetzt gleich
aufsuchen könnte, wäre es mir sehr recht … Ach, könnten Sie mir wohl bitte
ein Taxi bestellen?»
    «Selbstverständlich.» Der Rabbi begleitete Sykes zur Tür. «Ach,
noch etwas – ich nehme an, die Witwe schwimmt nicht gerade in Geld: Bei uns ist
ein einfacher Tannenholzsarg ohne Verzierung üblich.»
     
    Marvin Brown war ein quecksilbriger Draufgänger. Ein
rühriger Geschäftsmann, der wusste, dass Zeit Geld ist und dass jeder

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