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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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von diesem Auftrag gewusst, als Sie Hirsh
auskauften?»
    «So wahr ich lebe, Rabbi – ich hatte keine Ahnung! Wir hatten
vor Monaten eine Offerte eingereicht, aber nie eine Antwort gekriegt.»
    «Gut. Und wann sahen Sie ihn als Nächstes?»
    «Ich hab ihn seither nie mehr gesehen. Wir wurden immer größer,
wandelten die Firma in eine Aktiengesellschaft um und bauten schließlich den
Konzern auf. Wir dachten nicht mehr an Hirsh. Da kam eines Tages ein Brief von
ihm – er habe sich um eine Stelle bei Goddard beworben und ob ich nicht ein
Wort für ihn einlegen könne – ich würde die Leute doch sicherlich kennen, na,
und so weiter … ich habe Quint gleich angerufen, ihm die Sache nahe gelegt und
ihn gebeten, Hirsh wissen zu lassen, dass er die Stelle meinem Einfluss zu
verdanken hatte.»
    «Das versteh ich nicht. Sie sagen doch, Sie konnten Hirsh nicht
ausstehen?»
    «Ganz recht. Ich wollte ihm zeigen, dass er samt seinem Doktor
und seiner ganzen Bildung zu mir kommen musste, um eine Stelle zu kriegen.»
    «Ach so … Na ja. Und Sie haben ihn hier nie gesehen?»
    Goralsky schüttelte den Kopf. «Er hat ein paarmal
angerufen, aber ich ließ ihm durch das Mädchen bestellen, ich sei nicht zu
Hause. Der Mann hatte uns einmal Unglück gebracht – ich hatte Angst. Ich war
ein gebranntes Kind … Und ich habe leider Recht behalten: Vor zwanzig Jahren haben
wir wegen Hirsh fast Pleite gemacht; und was passiert jetzt? Er war schon
wieder im Begriff, mich zu ruinieren.»
    «Wie meinen Sie das?»
    «Wir standen vor einem kleinen technischen Problem, und ich
übergab die Sache Goddard, damit sie sich den Kopf zerbrachen. Sie teilten uns
in einem Vorbericht mit, dass sie ziemlich sicher eine Lösung gefunden hätten.
Zu diesem Zeitpunkt spielten wir mit dem Gedanken, mit einer anderen
Gesellschaft durch Austausch von Aktien zu fusionieren … Das ist streng
vertraulich, Rabbi.»
    «Selbstverständlich.»
    «Das heißt …» Goralsky lachte auf. «Streng vertraulich! Jeder
Börsenmakler in Boston munkelt davon … Sie kennen nur die Gerüchte, aber so was
kann man nicht ganz geheim halten. Ich will bloß nicht, dass es heißt, es kommt
direkt von mir … Okay?»
    Der Rabbi nickte.
    «Unsere Aktien stiegen also … Das ist normal, sobald
Gerüchte von einer möglichen Fusion durchsickern. Nach einer Woche waren sie um
fast hundert Prozent geklettert. Aber ich weiß ganz genau, dass es nicht bloß
wegen dieser Fusion war. Da war noch was: ein Gerücht, dass wir ein neues
Verfahren entwickeln … Das kann man wohl ebenso wenig geheim halten. Na, erst
war ich ein bisschen sauer; ich dachte, vielleicht hat da einer bei Goddard
versucht, klammheimlich ein bisschen abzukochen – Sie verstehen schon, selber
Aktien kaufen, dann eine gezielte Indiskretion … Na, ich dachte, mir schadet’s
ja nichts – im Gegenteil: Ich hatte damit gerechnet, zwei von meinen Aktien für
eine von der anderen Firma geben zu müssen, und plötzlich sieht’s aus, als
könnte ich eins zu eins tauschen. Umso besser, dachte ich. Und es war ja auch
absolut korrekt: Wenn ich ein neues Verfahren entwickle, dann sind meine Aktien
auch mehr wert … Kommen Sie mit, Rabbi?»
    «Ja.»
    «Ja, und dann kommt am Freitagnachmittag ein Anruf von
Quint. Es war kurz vor Kol Nidre , ich war schon am Gehen. Er bedauere
sehr, hat er gesagt, aber der Bericht sei leider verfrüht gewesen – sie hätten
Bockmist gemacht. Verstehen Sie?»
    «Sie meinen, es war falscher Alarm?»
    «Ja. Und wie steh ich da? Es muss doch so aussehen, als hätte
ich das Ganze manipuliert, um mehr herauszuschlagen.»
    «Ja, allerdings.»
    «Was kann ich tun? Es ist Jom Kippur ;und wie
ich nach Hause komme, ist Vater auch noch krank. Am Sonntag krieg ich einen
Anruf von den Leuten. Sie sind natürlich misstrauisch. Und stocksauer. Am
Montag geh ich zu Goddard, um Quint den Kopf zu waschen … Es war ihm
entsetzlich peinlich, und er hat sich gewunden, bis er schließlich mit der
Wahrheit rausrückte: ‹Ich muss Ihnen leider gestehen, Mr. Goralsky – Ihr Mr. Hirsh
ist an allem schuld …› Mir blieb die Spucke weg. Verstehen Sie jetzt, warum ich
sage, der Kerl bringt Unglück … Ich meine, er brachte Unglück. Verstehen Sie
jetzt, warum ich zu seiner Beerdigung ging?»
    «Eh … Offen gesagt, nein.»
    «Weil ich sicher sein wollte, dass er auch wirklich unter
die Erde kam!»
    Der Rabbi wusste nicht, ob er weinen oder lachen sollte. Ehe
er jedoch etwas sagen konnte, steckte das Dienstmädchen

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