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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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nicht sagen,
warum.»
    «Na und? Viele Leute gehen zwischendurch mal hinaus. Es ist
ein langer Gottesdienst, man will Luft schnappen oder die Beine strecken …»
    «Und ist es eine Schande, das zuzugeben?»
    «Natürlich nicht. Aber vielleicht ist Brown aus einem
anderen Grund fortgegangen, den er nicht eingestehen will … Vielleicht ist er
nach Hause gegangen, um etwas zu essen, und es ist ihm unangenehm, wenn es
herauskommt, dass er nicht durchfastet.»
    «Und vielleicht ist er auch zu Hirsh gegangen, um ihn
umzubringen.»
    «Warum? Weil er ihm eine Versicherungspolice verkauft hatte?
Sie können ebenso gut alle anderen verdächtigen, die mit Hirsh in irgendeiner
Geschäftsverbindung standen: den Bäcker, den Fleischer, den Tankwart … zig
Leute. Und sicherlich überwiegend keine Juden mit Kollektiv-Alibi.»
    «Ich sage ja nicht, Brown ist des Mordes verdächtig, weil
er die Synagoge früher verlassen hat. Aber in einem Fall, wo die Waffe
jedermann zugänglich und kein klares Motiv vorhanden ist …»
    «Vielleicht versteifen Sie sich zu sehr darauf.»
    «Wie meinen Sie das?»
    «Nun, es muss nicht unbedingt so sein. Vielleicht hat der Mörder
schon monatelang vorgehabt, Hirsh umzubringen, aber entweder brachte er den Mut
dazu nicht auf, oder es bot sich nie die Gelegenheit. Mag sein, dass er die
Absicht hatte, Hirsh auf irgendeine konventionelle Art zu töten, aber dann
machte er sich die Situation zunutze.»
    «Ja, vielleicht, aber … Ich sehe nicht ein, wie uns das
weiterhilft.»
    «Wir müssen der Untersuchung eine andere Richtung geben.»
    «Zum Beispiel?»
    Der Rabbi zuckte die Achseln. «Wir wissen, dass Hirsh
seinerzeit an der Entwicklung der Atombombe beteiligt war. Vielleicht lohnt es
sich, da nachzuforschen … Ich weiß, es klingt wie ein Hintertreppenroman, aber
es ist doch vorstellbar, dass er Informationen besaß, die jemand haben wollte –
oder umgekehrt: Er wusste etwas, das unter keinen Umständen weiterdringen
durfte …»
    «Rabbi, Hirshs Mitarbeit an der Bombe liegt zwanzig Jahre
zurück; es ist kaum anzunehmen, dass er etwas weiß, was heute noch nicht im
Physikbuch für die Oberstufe steht … Außerdem, warum hätte der Täter so lange
gewartet?»
    «Wahrscheinlich haben Sie Recht; aber können Sie die Möglichkeit
einfach wegwerfen? Bisher lebte er in einem anderen Teil des Landes. Jetzt
kommt er an die Ostküste zurück, wo es von Wissenschaftlern nur so wimmelt.
Vielleicht hat er bei Goddard einen früheren Kollegen wiedergetroffen …»
    «Wir können ja in den Personalakten nachprüfen, ob sonst
noch jemand bei Goddard an der Bombe mitgearbeitet hat», meinte der
Polizeichief skeptisch.
    «Tun Sie das. Aber weiter: Was ist mit der Tatsache, dass Mrs.
Hirsh eine attraktive junge Frau ist?»
    Lanigan schaute den Rabbi verwundert an. «Ich hätte nicht
gedacht, dass ein Rabbi so etwas merkt.»
    «Ich könnte mir vorstellen, dass sogar ein katholischer Priester
in der Lage ist, da gewisse Unterschiede festzustellen.»
    Lanigan grinste. «Ich glaube, wir können die Möglichkeit nicht
ausschließen …» Dann wieder ernst: «Wollen Sie andeuten, dass die Witwe einen
Liebhaber …»
    Der Rabbi wiegte den Kopf hin und her. «So wie ich sie einschätze,
glaube ich es kaum; ausgeschlossen ist es nicht. Ich könnte mir eher denken,
dass es von dem Mann ausgeht – einem jüngeren Mann wahrscheinlich, der es auf
sie abgesehen hat und dem Hirsh im Weg war.»
    «Das klingt schon vernünftiger. Man müsste es nachprüfen.»
    Plötzlich wurde er misstrauisch: «Oder versuchen Sie etwa,
den Verdacht von Brown und Goralsky abzulenken, Rabbi?»
    «Ich will nur zeigen, dass es nicht unbedingt ein Mitglied meiner
Gemeinde gewesen sein muss, das aus dem einen oder anderen Grund nicht beim
Gottesdienst war.»
    «Na schön. Aber wir werden trotzdem versuchen, dahinter zu
kommen, was Ihre Freunde an jenem Freitagabend getrieben haben.»
    Er stand auf. «Na, dann gute Nacht, Rabbi. Ich bin ein bisschen
enttäuscht, offen gesagt … Ich nehme an, ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass
Sie sich nach dem Gesetz dieses Landes unter Umständen der Mittäterschaft
schuldig machen, wenn Sie Goralsky oder Brown einen Wink geben.»
     
    29
     
    In einer Kleinstadt gibt es keine Geheimnisse. Ein
Geheimnis ist dort nicht etwas, das niemand weiß, sondern etwas, worüber man
nicht offen spricht. Als sich die Staatsanwaltschaft schließlich am Donnerstag
der Presse stellte, wusste alle Welt, dass es bei Hirshs Tod

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