Am Samstag aß der Rabbi nichts
halten.»
«Ich glaube, es ist eher Neugier. Sie wundern sich, was mit
mir los ist. Wahrscheinlich haben sie auch allerlei Gerüchte über Hirshs Tod
gehört.»
«Das klingt aber ziemlich bitter, David.»
Er sah sie überrascht an. «Keine Spur. Im Grunde ist es ein
Beweis, dass unser Bethaus seine eigentliche traditionelle Funktion als
Gemeindezentrum erfüllt … In den engen Ghettos im alten Europa pflegte
sich jede Neuigkeit wie ein Lauffeuer von Haus zu Haus zu verbreiten; hier in
Barnard’s Crossing haben wir kein ausgesprochen jüdisches Viertel, und wenn
etwas passiert, das die Juden besonders interessiert, kommen sie eben zur
Synagoge, um Näheres zu erfahren … Ich bin keineswegs verletzt. Im Gegenteil,
ich freue mich darüber.»
Wer aber gehofft hatte, dass sich der Rabbi über die Gründe
seines Rücktritts auslassen würde, der sah sich in seinen Erwartungen
getäuscht. Es war ein Freitagabendgottesdienst wie jeder andere. Wie immer
begab sich der Rabbi anschließend in den Gemeindesaal, wo der Frauenverein Tee und
Kuchen zu servieren pflegte. Die Unterhaltung war angeregt; das Hauptthema war
natürlich der Tod von Isaac Hirsh. Da und dort schnappte der Rabbi
Gesprächsfetzen auf:
«Ich wette, der Rabbi weiß alles. Sein Rücktritt hat sicher
was damit zu tun.»
«Wie meinst du das?»
«Keine Ahnung. Aber es ist bestimmt kein Zufall, dass
beides zusammenfällt.»
Wenn ihn jemand rundheraus fragte, was er von der Hirsh-Affäre
halte, sagte er nur immer: «Ich weiß es nicht. Ich habe den Mann nicht
gekannt.»
Miriam, die sonst neben ihm stand, hatte einen der Klappsessel
zur Wand gezogen und sich hingesetzt. Einige Frauen umstanden sie und gaben ihr
gute Ratschläge.
Mrs. Wasserman rückte ihren Sessel neben den Miriams. Sie
war eine mütterliche Frau in den Sechzigern und hatte sich vom ersten Tag an
der Smalls angenommen.
«Man wird rascher müde, was?», meinte sie freundlich.
«Na ja – ein bisschen», gab Miriam zu.
Mrs. Wasserman tätschelte ihre Hand. «Bald haben Sie’s hinter
sich. Nur keine Angst. Ich wette, es wird ein Junge.»
«Hoffentlich. David würde gar nichts anderes akzeptieren – und
seine Mutter erst!»
Mrs. Wasserman lachte. «Sie werden auch ein Mädchen nehmen!
Und nach zwei Tagen würden Sie’s nicht für zehn Jungen hergeben … Ist der Rabbi
aufgeregt?»
«Bei ihm weiß man das nie.»
«Bah! Sie tun nur alle so, als kümmerten sie sich nicht drum.
Aber das ist nur Bluff. In Wirklichkeit … Als mein Ältester auf die Welt kam,
hat sich Jacob beinahe umgebracht – wenn er dachte, ich merke nichts davon. Und
ich bin sicher, Ihr Mann ist genauso!»
Miriam lächelte schwach. «Sie kennen meinen David nicht.»
«Er hat eben sehr viel zu tun.»
«Wenigstens hab ich es durchgesetzt, dass wir vorhin bei der
Taxizentrale vorbeigefahren sind und einen Wagen bestellt haben für den Fall,
dass unserer nicht anspringen sollte. Aber sonst …» Sie lächelte. «Er denkt, es
ist genug, wenn er ständig sein Gewissen prüft und nichts Schlechtes tut.»
«Vielleicht ist es so am besten», murmelte Mrs. Wasserman.
Morris Goldman, der Garagenbesitzer, schlenderte durch die
Menge und näherte sich der Stelle, wo der Rabbi stand; er redete und
gestikulierte heftig: «… ein kleiner, glatzköpfiger Dickwanst war er, und jetzt
stellt sich heraus, dass er mit einer tollen Rothaarigen verheiratet ist, noch
dazu eine Schickse, und doppelt so groß und halb so jung wie er … Oh,
gut Schabbes, Rabbi. Ich sprach eben über diesen Hirsh.»
«Kannten Sie ihn?»
«Na ja, wie man seine Kunden eben kennt. Wie das so ist: Die
Leute warten auf ihren Wagen, und man sagt ihnen guten Tag. Ihn kannte ich
vielleicht ein bisschen besser, weil mit seiner alten Karre dauernd was los war
… Bremsen, Reifenpannen und so. Einmal hab ich einen neuen Auspuff montiert.»
«Wie kam er zu Ihnen?», fragte einer der Umstehenden. «Ihre
Garage liegt doch außerhalb der Stadt.»
«Er hat doch bei Goddard gearbeitet – die kommen alle zu mir.
Meine Garage liegt fünfhundert Meter vom Labor entfernt, an der Fernstraße 128 , gleich bei der Kreuzung … Sie bringen morgens den Wagen
zum Abschmieren oder zur Inspektion, und dann gehen sie zu Fuß in die Firma.»
«Führen Sie alle Reparaturen aus?», fragte der Rabbi.
«Na klar. Warum? Ist Ihr Wagen nicht in Ordnung, Rabbi?»
«Er startet so schlecht. Und beim Bremsen bleibt der Motor
oft stehen.»
«Na, das kann alles Mögliche sein … Kommen
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