Am schönsten Arsch der Welt: Bekenntnisse eines Neuseelandreisenden (German Edition)
schaffen.
… und dafür verlassen die Abgeordneten auf Veranlassung des Bundestagspräsidenten den Plenarsaal und sind dann gehalten, diesen wieder durch eine von drei Türen zu betreten. Eine »Ja«-, eine »Nein«-, oder eine »Ich-möchte-mich-da-lieber-nicht-festlegen«-Tür. Die eintretenden Herden werden händisch gezählt. Dieses Verfahren kommt immer dann zum Tragen, wenn eindeutige Mehrheiten durch die herkömmlichen Verfahren, wie Handzeichen und Erheben/Sitzenbleiben, nicht festgestellt werden können. Warum gerade diese schafige Bezeichnung für das Verfahren sich eingebürgert hat, ist strittiger, als es in den meisten Publikationen zu lesen ist. Allerdings wurde sie bereits über einer Abstimmungstür im alten Reichstag mit einer Szene aus Homers Odyssee illustriert. Dort streicht der Zyklop Polyphem seinen Schafen über den Rücken und bemerkt dabei nicht die bäuchlings klammernden Gefährten des Odysseus. Anders als die polemischen Kritiker unserer Volksvertreter vielleicht annehmen mögen, ist es den Abgeordneten offensichtlich lieber, ihre Abstimmungen mit ganzem Körpereinsatz zu vollbringen. Bereits 1874 scheiterte die Einführung einer ›elektrischen Abstimmungsmaschine‹ von Siemens am Veto der Parlamentarier wegen der Unwürdigkeit einer solchen Gerätschaft für das hohe Haus. Der Deutsche Bundestag berichtet auf seinen Internetseiten, dass Anfang der 1970er Jahre ein weiterer Versuch unternommen wurde, das Verfahren zu digitalisieren und die elektronische Stimmabgabe mittels des ›AEG 60-10- Digitalrechners‹ durchgeführt werden sollte. Druckkontakte in den Sitzen sollten eine Manipulation verhindern. Schon drei Jahre später wurde die Maschinerie wegen technischer Probleme wieder außer Betrieb genommen. Seitdem springen die Schafe wieder ihren Leithammeln oder ihrem Gewissen folgend durch die jeweiligen Türen.
Die Häuser, an denen wir vorbeifahren, entsprechen alle dem klassischen englischen Kolonialstil. Da fragt man sich, woher der Bernhard wohl den »klassischen britischen Kolonialstil« kennt. Kenn ich nicht. Aber genau so stelle ich mir die Häuser der ganzen alten Engländer vor, wenn sie an einer Stelle gebaut haben, wo sie eigentlich nicht hingehörten, und keine Steine zur Verfügung hatten: Zweigeschossige Bauten aus Holz, deren Tür in der Mitte der breiteren Seite auf eine große Veranda führt, wo der Betrachter unwillkürlich nach dem Schaukelstuhl Ausschau hält, auf dem der alte Mann sitzt, der vor 90 Jahren hier mit seinen Eltern die erste Sickergrube ausgehoben hat.
Das älteste Exemplar dieser Gattung »Haus« steht übrigens hier in Northland in Kaikiri: das Kemp House.
Es wurde zwischen 1821 und 1822 erbaut. Nun ist es ein Museum, und wir konnten leider nicht hin, da ich eine Aufgabe erledigen – MÖÖÖP! Nein! – mir einen Wunsch erfüllen wollte.
Die doch recht junge Geschichte des britischen Neuseelands wird mir im Schnelldurchlauf von Katie vermittelt. Sie erzählt von der glorreichen Vergangenheit Neuseelands und erwähnt dabei ein Hotel in Rotorua, in dem wir später auf der Reise auch wohnen werden. Dieses Gebäude sei echt alt, 1880 irgendwas. Wow, denke ich. Immerhin sind Häuser dieser Altersklasse in Deutschland nun wirklich nichts Besonderes. Allein, Renate wohnt in einem alten Weberhaus, das war zu dieser Zeit schon 150 Jahre alt.
Wie du oben bereits vermutetest, wunderte ich mich in der Tat, woher du den englischen Kolonialstil zu kennen glaubtest. Zugegeben, ich weiß da auch nicht sonderlich gut Bescheid, habe aber den entscheidenden Vorteil, nicht in einem neuseeländischen Wohnmobil zu sitzen und nur auf die spärlichen Informationen einer Offline-Datenbank zurückgreifen zu können. Statt meine Augen durch den Anblick schier unendlicher grüner Hügelkurven und kraftvoll strotzender Wälder zu ermüden, sitze ich im Arbeitszimmer. Draußen regnet es noch immer Katzen und Hunde, wenn ich einmal auf ein englisches Idiom zurückgreifen darf.
Deine Fantasie hat dir übrigens keinen Streich gespielt. In der Tat zählt die Bay of Islands zu den Gegenden in Neuseeland, wo viele dieser typischen Bauten der ersten britischen Siedler entstanden sind. Der Mangel an steinernem Baumaterial und finanziellen Mitteln, um dieses zu beschaffen, führte dazu, dass man die Häuser aus dem Holz der Urwälder errichtete. Vor allem das Holz der Rimu-Harzeibe und des Kauribaums wurden dafür verwendet. Stilistisch fühlte man sich allerdings der
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