Am schönsten Arsch der Welt: Bekenntnisse eines Neuseelandreisenden (German Edition)
hat: Die ersten Briten, die den malerischen Küstenabschnitt in der Bay of Islands besiedelten, waren Walfänger und Holzfäller. Mit den Maori handelte oder kloppte man sich. Beide Seiten gingen auf diesen Betätigungsfeldern überaus professionell vor. Von einer rechtlichen Instanz war lange Zeit nichts zu sehen. Die Maori waren anfänglich noch in der Überzahl und fühlten sich somit sicher und nicht einmal in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. So war es geradezu »cool«, einen P ā keh ā im eigenen Dorf zu haben.
Durch die rauen Sitten verdiente sich der Ort schnell seinen ernstgemeinten Spitznamen »Teufelsloch des Südpazifiks«. Viele Reisende und Händler kürten das Städtchen noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein zum übelsten Sündenpfuhl des britischen Empires.
Wie vielerorts in der zu kolonialisierenden Welt waren es Missionare, die dem sündigen Treiben der »wilden Ureinwohner« und den sich in einem rechtsfreien Raum wähnenden Einwanderern ein Ende setzen wollten. Selbst ein Reverend wie Samuel Marsden, der wegen seiner stringenten Amtsführung als Friedensrichter auch den Beinamen »Pfarrer mit der Peitsche« trug, war vom Ausmaß des völlig verrohten Way of Life der Walfänger und Holzfäller in Koror ā reka, dem späteren Russell, geschockt.
Die Maori übernahmen von den Missionaren, von denen es immer mehr gab, wissbegierig landwirtschaftliche Techniken und lernten auch Lesen und Schreiben von ihnen. Nur mit dem Glauben, den die Gottesmänner ihnen ans Herz legen wollten, haderten sie. Was auch daran liegen mochte, dass die Kirchenvertreter sich selbst nicht sonderlich vorbildlich benahmen, sondern sich gerne dem Alkohol, sexuellen Ausschweifungen und sogar dem Waffenschmuggel hingaben. Auch erschien den Maori die christliche Religion nicht wesentlich reizvoller als die eigene. Im Gegenteil: Sie hatten von ihren Göttern im Jenseits nichts Böses zu erwarten. Abgestraft wurde lediglich im Diesseits. Geschichten von der fegefeurigen Hölle, in der man nach dem Ableben bei schlechtem Betragen eine komplette Ewigkeit abzusitzen hatte, waren keine gute Werbung für eine christliche Weltsicht.
Auf dem Flagstaff Hill, einem nördlich des Städtchens gelegenen Hügel, hisste man eine Flagge – und alle seien glücklich gewesen. Bis die Engländer dachten: »Ah … Russell … sooooo dolle is das da auch nich … Wie wär’s denn mit ’ner anderen Hauptstadt … Auckland! … auch schön … Gehen wir doch da hin!«
Bumsdi, alle Beamten weg.
Das erinnert mich an das bittere Schicksal meiner Heimatstadt Bonn, die wegen derlei nebensächlichen Ereignissen wie dem Zusammenbruch der Sowjetunion, dem Ende des Kalten Krieges und der Aufhebung der Teilung eines seit 40 Jahren getrennten Landes einfach so ihre Funktion als Regierungssitz und vor allem den Titel »Bundeshauptstadt« verlor. Letzteres schmerzt am meisten. Alle Ortsschilder mussten ausgewechselt werden.
Und auf denen steht jetzt »Bundesstadt« Bonn. Was auch immer das zu bedeuten hat. Dein Schmerz lässt mich schmunzeln. Man hat euch doch nur das »haupt« genommen, und das »Bundes« gelassen. Also nur eine kleine orthografische »Dekapitation« vorgenommen. Reicht es eurem kleinstädtischen Ego denn nicht, immerhin einige Jahrzehnte vom Fuße des Siebengebirges aus die Welt – Verzeihung – die Republik regiert zu haben?
Tobi, du hast nicht wirklich das Wort »Dekapitation« in Verbindung mit der schriftsprachlichen Veränderung unserer schönen Stadt gebraucht? Gut, ich musste es erst nachschlagen und stellte fest, dass es »Enthauptung« bedeutet. Ohne auf all die Bilder eingehen zu wollen, die ich mir im Zuge der Wortrecherche in den letzten zwei Stunden angesehen habe, stimmt das natürlich nicht ganz. Man hat nämlich nicht den ersten Teil des Wortes »Bundeshauptstadt« abgenommen, also den Kopf, sondern quasi den Hals. Nämlich das mittlere Wort »haupt« … Haupt? Haupt! Haupt wie Kopf … Ui, da war ich wohl was langsam. Aber ich komme ja auch nur aus einer kleinen Stadt …
Apropos Kleinstadt: Zurück zu Russell …
Dummerweise lebte wohl in Russell auch der Maori-Stammesfürst Hono Heke Pokai, führte Jakob weiter aus. Der büßte auf einmal durch den Verlust der Hauptstadtfunktion eine Menge Einnahmen ein, weil der Hafen zwar bis dato der größte Walfangport der Inseln gewesen, jetzt aber doch seltener angelaufen worden sei. Er dachte sich: »Och nö, jetzt aber hier … was soll ’n
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