Am schönsten Arsch der Welt: Bekenntnisse eines Neuseelandreisenden (German Edition)
beschäftigt sich seitdem mit wachsendem Erfolg für die Maori damit, die Benachteiligungen, die sich für sie aus diesem alten Vertrag und seiner Nichtachtung durch die Briten ergaben, gerichtlich zu regeln. Endlich gibt es eine Instanz, die den ganzen Fall noch einmal aufrollt. Vor dem Tribunal können Ansprüche und Beschwerden geltend gemacht werden. Es hat seine eigene Gerichtsbarkeit und legt fest, welche Paragrafen der unterschiedlichen Versionen des Vertrags von Waitangi gültig sind.
Zum Abschluss dieses Exkurses sei noch erwähnt, dass das britische Königshaus sich sogar dazu hinreißen ließ, sich für die Vertragsverletzungen und die daraus resultierenden Kriegshandlungen offiziell bei den Maori zu entschuldigen.
Auf dieser Grundlage wurden die Maori britische Staatsbürger, verloren zwar ihre Souveränität, durften aber ihre Besitztümer behalten. Probleme ließen nicht lange auf sich warten. Die Maori besaßen keine Schriftsprache, sondern schnitzten alles in Dachbalken oder gaben es von Generation zu Generation durch Erzählungen weiter. Die Engländer hingegen schrieben schon damals alles nieder, was sich in Worte kleiden ließ. Kein Wunder, dass es alsbald Streit über die korrekte Auslegung des Vertrags gab. So stand auf der Infotafel im Hafen von Paihia, die Maori seien überrascht gewesen, dass sie, wenn sie Land verkauften, auch das Recht an den Früchten darauf verlieren würden. Dies war ein einem Europäer eher ungeläufiges juristisches Verständnis des Begriffs »verkaufen«.
In Dachbalken zu ritzen, ist eine schriftliche Tradierung!
Tobi, wenn du jede Form von Gestaltung einer Unterlage zum Zwecke der Bewahrung von Inhalten als Schrift definierst, ja. Dann ist der Kreuzweg in der Kirche ein Text, und Höhlenmalereien sind eine frühe Form von Rosamunde- Pilcher-Romanen, wenn sie auch im Savannen-Setting spielen … Wahrscheinlich wird dir nicht mal jemand widersprechen, einfach weil du dich mit dieser Theorie sehr weit vorgewagt hast und allein auf weiter Flur stehst. Aber auf dem Weg der Erkenntnis bist du damit nicht. Schrift ist laut dem mobilen Gedächtnis Wikipedia ein »aus Elementen bestehendes grafisches Zeichensystem«. Die Dachbalkenschnitzereien sind hingegen figürliche und gegenständliche Darstellungen aus den Geschichten der maorischen Mythologie. Also eine Abbildung von einem Typen im Kanu oder einem Gesicht neben Krakenarmen.
Bevor ich argumentativ zu sehr ins Straucheln gerate und einen Ausweg aus dem Dilemma suche, welche Art von Symbolik das Prädikat »Schrift« verdient hat, verlasse ich diese Diskussion einfach durch die Hintertür …! Denn dass die Maori keine Schriftsprache besitzen, kann ich so aus der zeitgeschichtlichen Perspektive nicht stehen lassen.
Natürlich haben die Maori ihre Historie, Mythen, Kochrezepte und Fellpflegeanleitungen über die ersten paar Jahrhunderte hinweg mündlich überliefert. Aber mit dem Erscheinen der ersten Missionare begannen die ersten Maori ihre Sprache zu verschriftlichen. Sie hatten nämlich schnell erkannt, dass diese Methode der Tradierung doch auch einige Vorteile barg – vor allem im kulturellen Austausch mit den britischen Einwanderern, welche in immer größerer Zahl ihre Heimat besiedelten.
Mittlerweile hat sich daraus eine spannende postkoloniale maorische Literaturszene entwickelt. Gerade in den letzten Jahrzehnten haben viele Autoren sich literarisch der Behauptung der eigenen Kultur und Tradi tionen gewidmet und nutzen das als identitätsstiftendes Vehikel, um der kolonialistisch bedingten Entfremdung von ihren Wurzeln entgegenzutreten. Auf Wunsch kann ich dir, lieber Bernhard, gerne eine Literaturliste mit den wichtigsten Werken dieses Schaffenskreises zukommen lassen.
Egal, wie kompliziert die Ausgangslage ehedem war – es gab einen Gewinner angesichts der Wirren um den Vertrag von Waitangi: Russell. Jakob hatte auf der Überfahrt meine Datenflatrate strapaziert und erzählte begeistert, dass durch diese Vertragsunterzeichnung die einstmals Koror ā reka genannte Maori-Siedlung zur Hauptstadt wurde, benannt nach dem Kolonialstaatssekretär John Russell, der unter Queen Victoria auch noch zwei Mal britischer Premierminister gewesen sei.
Bevor sich das Leben in dem kleinen Küstenort Russell nach britischen Regeln und dank der schwindenden »Cholerik« der Maori einigermaßen sortierte, muss es dort ganz schön hoch hergegangen sein. Noch einmal ein kleiner Gang durch die Zeiten, die Russell erlebt
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