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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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vorsichtig hin und her bewegte. Mit einem Lächeln startete er den Motor: »Wenn wir eine Pause brauchen, könnten wir doch mal wieder in die ›Schlange‹ gehen. Da waren wir schon ewig nicht mehr. Und vorher holen wir Veronika ab, sie arbeitet heute länger.«
    Den Schwarzen Berg glitt er mit erhöhter Geschwindigkeit hinunter, nur um zu sehen, wie der Fahrtwind Peter das Haar aus der Stirn blies. An den Bart hatte er sich immer noch nicht gewöhnt. Die Augen, die jetzt geradeaus durch die Windschutzscheibe schauten, waren offen. Sie schienen zumindest etwas zu sehen. Emil ließ den Motor aufheulen und fuhr an der Neubaukolonie vorbei, Waiblinger-, Hartlaubstraße, bog rechts ab in den schmalen Hohlweg. Es ging bergauf durch Gärten und Weinberge. Er sah die erstaunten Schafe am Zaun des ersten Grundstücks, die krummen Apfelbäume, das Nicht-füttern-Schild. Niemand kam ihm entgegen. Schiefe Wengerterhäuschen standen in steil herabstürzenden Wiesenstücken, rosafarbene Wicken hingen im Drahtgeflecht eines Zaunes, Goldruten schwankten. Ein Sportwagen kam ihnen entgegen und drückte sich ängstlich in die Ausweichbucht. Emil passierte ihn lachend, die Außenspiegel berührten sich, und er zwinkerte zu Peter hinüber: »Diese Idioten, glauben immer, es paßt nicht«. Sie waren bereits im Wald, und erst als Peter das Fenster herunterkurbelte und die grüne Kühle der Buchen hineindrang, merkte Emil, wie stark er schwitzte. Sein Hemd klebte am Rücken, und kleine Rinnsale tropften von der Stirn in die Augenbrauen. In einer breiten Schlaufe passierten sie die Pischekstraße. Die Stadt im Tal lag unter einem wolkenlosen Himmel, Hitze vibrierte über den Dächern, und in der schmutzgeschwängerten Luft waren die Türme der Kirchen, des Bahnhofs, die hellen Hochhausquader nur undeutlich voneinander zu unterscheiden. An den Anhöhen des Kessels stieg der Wald dunkelgrün empor. Emil erkannte den Fernmeldeturm mit seinem ufoartigen Unterbau und der gefährlich aussehenden Spitze, der aus dem staubigen Sommerlaub emporragte.
    »Als erstes zum Eiswägele?« fragte er. Peter zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, wo sie sind. Ich habe sie seit Wochen nicht mehr gesehen.« Er hatte angefangen, an den Fingernägeln zu kauen und die Haut an den Nagelbetten mit den Zähnen zu bearbeiten, bis sie bluteten. Jetzt rupfte er mit verzerrtem Gesicht an der geröteten Schwellung seines Mittelfingers. Schnell schaute Emil aus dem Fenster. Er versuchte, sich mit den Altbauten der Sonnenbergstraße zu trösten, die sie entlangfuhren, und zitierte Hermann Lenz: »Helle Villenzimmer mit grünlichem Schein von Birkenblättern und Geishirtleästen.«
    Peter reagierte nicht, obwohl Lenz, der Schöpfer des wahren Taugenichts Eugen Rapp und legitimer Erbe des Leistungsverweigerers Mörike, immer sein Held gewesen war. Emil bekam einen Hustenanfall und ließ sich keuchend gegen die Kopfstütze fallen.
    Erschrocken steuerte er die Hohenheimer Straße hinunter. Vergangene Nacht war er von seinem eigenen Husten aufgewacht, einem qualvollen, abgehackten Krächzen. Wahrscheinlich hatte er sich im Schlaf verschluckt. Ungelenk hatte er sich aus dem verknäulten Laken gewickelt, um ins Badezimmer zu gehen. Auf dem Flur stellte sich Veronika ihm entgegen, die Augen aufgerissen, das lange schwarze Nachthemd an der Seite hochgerafft und in der Faust zusammengehalten. Er sah ihre bleichen Kniescheiben, die tiefen Kerben in der Haut von Hals und Dekolleté. Sie sprach laut und keifend: »Was ist los, um Himmels willen, warum hustest du so schrecklich?« Als sie ihn am Arm packte, merkte er, daß sie nicht verärgert, sondern ängstlich war. Ihre Stirn glänzte, die Lippen zitterten. »Hast du Schmerzen in der Brust?« Emil drängte sich an ihr vorbei. Sie roch nach warmer Betthöhle und Parfüm. »Ich möchte etwas trinken, pissen und dann weiterschlafen. Ich habe mich verschluckt.« Sie ließ ihn nicht gehen, klammerte sich an ihn. »Du hast noch nie nachts gehustet! Das ist doch nicht normal!« Sie folgte ihm ins Bad und presste sich an ihn, als er sich zum Waschbecken hinunterbeugte, den Mund an die verkalkte Zitze des Hahns legte und einen Schwall viel zu warmes, rostig schmeckendes Wasser trank. Prompt bekam er einen Ständer. Er konnte nicht mehr pinkeln, weil sie jetzt vor ihm stand und ihn ansah, die Augen riesig, die Hände ineinander verkrallt, die kleinen Zehen winzig, plump und bläulich auf den Fliesen. »Du mußt morgen zum Arzt gehen!« Emil

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