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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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rot für die Ersatzkassen, gelb für die Privaten.«
    Der Weg in die Wilhelma dauerte länger, als Emil vermutet hatte. Er wußte nicht, ob es an ihm lag oder an den vielen Umleitungen. Mehrfach mußte er gewohnte Strecken verlassen und durch Straßen fahren, in denen er seit Jahren nicht gewesen war. Die weißrot gestreiften Baustellenabsperrungen, hinter denen sich riesige Löcher im Erdreich auftaten, schienen die ganze Stadt zu verstellen. Überall war der Boden geöffnet. Unter dem aufgesprengten Asphalt der Fahrbahn lagen die Schichten des Erdreichs bloß: grauweiß gefleckter Kies, staubiger Zinnober, eingetrockneter Ocker, durchzogen von schwarzen Kabeln und Rohren, die von Rost und Kalk ummantelt waren. Bagger mit gezähnten, lehmverkrusteten Schaufeln glitten unermüdlich durch das Geröll, dazwischen liefen Scharen von Arbeitern mit gelben Ohrenschützern und Sicherheitsschuhen. Betonröhren von beängstigendem Durchmesser stapelten sich in Bushaltebuchten, Fußgänger sahen sich hilflos um, Ersatzhaltestellenschilder ragten an weit entfernten Stellen auf. Immer wieder waren Gebäude von smaragdgrünen Planen verhängt, die sich träge im heißen Wind bewegten. Auf vielstöckigen Baugerüsten ließen halbnackte Männer mit rotbraun verbrannten Oberkörpern farbbeschmierte Holzbretter von Hand zu Hand in die Tiefe gleiten. Emil suchte nach Geschäften und Kneipen, die er kannte, um sich zu vergewissern, daß er wirklich dort war, wo er zu sein glaubte. Der Thailänder in der Neckarstraße war verschwunden, statt dessen leuchtete das weißblau karierte Schild einer bayrischen Gaststätte auf.
    Umleitungspfeile schickten sie durch Ostheim und hinter die Villa Berg. Der schwarze Elefant auf den Wegweisern schien ständig vor ihnen davonzulaufen. Plötzlich hingen sie auf der Uferstraße hinter dem Wasserwerk im Stau. Emil fluchte und hieb auf das Lenkrad. Peter gähnte.
    Die Fahrt durch das überfüllte Wilhelma-Parkhaus war eine schaukelnde Angelegenheit, bei der Emil sich ertappte, wie er bei den engen Kurven ins nächsthöhere Stockwerk die Augen schloß und darauf hoffte, der Wagen würde diese Aufgabe auch ohne ihn meistern. Auf der dritten Ebene hatte er zu spät eingeschlagen und schrammte an einer Säule entlang. Familienkombis und Jeeps mit Kennzeichen aus dem näheren Umland von Calw bis Konstanz standen dicht an dicht.
    Peter hing still in seinem Gurt. Statt zu reden, drückte er seine Fingerspitzen in die durchsichtigen Fensterchen einer leeren Kaugummipackung. Das knackende Geräusch wiederholte sich in einem unregelmäßigen Rhythmus und erinnerte Emil an Morsezeichen, die er nicht entschlüsseln konnte.
    Am Haupteingang warteten Besucher in langen Reihen. Kinder spiegelten sich in den Scheiben des grüngoldenen Kassenpavillons. Sie rannten die Rabatten entlang und legten ihre Hände auf die haarigen Stämme der Palmen, kreiselten um die schlanken Metallsäulen des Pavillons und versteckten sich hinter Blumenkübeln. Ihre aufgeregten Stimmen mischten sich mit dem Dröhnen der B 10 und den schnatternden Rufen der Flamingos aus den Anlagen. Emil schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen. Als Peter sich aus dem Auto gezwängt hatte, das äußerst eng zwischen zwei Kombis geparkt war, tauchte Emil unter seinem Sitz auf, nachdem er den lauwarmen Cognac in hastigen Schlucken getrunken, sich den Hinterkopf am Lenkrad gestoßen und die Flasche mit einem heftigen Fußtritt wieder in die Tiefe befördert hatte.
    Peter blieb stehen und legte seine Hand auf die Terrakottawand, die vom Torbogen des Eingangs bis zum Pavillon führte. »Fühl mal.« Er streichelte die Ornamente des Reliefs, den breiten Blätterkranz. Emil hastete täppisch auf ihn zu, um es ihm nachzumachen, froh darüber, daß Peter von sich aus etwas tat. Der ziegelrote Stein war von der Sonne erhitzt. Emils Fingerspitzen wurden schmutzig, als er sie durch die Rillen wandern ließ. »Ivo und Jörn behaupten, die Mauer sei immer warm, auch im Winter, und im Sommer würde man sich die Hände an ihr verbrennen. Wenn sie hier hereinkommen, lassen sie die ausgestreckte Hand über den Stein laufen. Die Finger werden schwarz. Verkohlt, natürlich.« Er lächelte kurz und nestelte in seiner Hosentasche, zog Dauerkarte und Personalausweis hervor.
    Emil stellte sich in die Kassenschlange. Er hatte den Zoo nie gemocht. Die eingesperrten Tiere deprimierten ihn, und er kannte keinen Ort, an dem er sich mehr schämte als vor den dicken Glasscheiben der

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