Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
Vom Netzwerk:
Menschenaffen-Häuser. Merkwürdigerweise ging es in einem der wenigen Gespräche mit Mia, die Emil im Gedächtnis geblieben waren, auch um die Wilhelma. Sie konnte Peters Begeisterung nicht teilen und hatte versichert, weder ihm noch ihren Jungen zuliebe sei sie bereit, noch einmal einen Fuß in den Zoo zu setzen. Als Begründung hatte sie Emil eine Geschichte aus ihrer Kindheit erzählt. Sie begann im Glaspalast des Wintergartens, neben Goldfischteich und Bananenbäumen. Alpenveilchen seien dort gewachsen, büschelweise Alpenveilchen. Mia hatte mit lebhafter Gestik ihre kindliche Begeisterung für Faultiere, Orchideen und hüpfende Tropenvögel geschildert und dann das blanke Entsetzen beim Anblick einer Maus, einer flauschigen, rundohrigen, goldpelzigen Maus. Sie hatte gerade geboren und ihre noch blinden Jungen gesäugt, eine Schar winziger rosafarbener Fleischklümpchen, mit kurzen, haarlosen Schwänzen. Und während dieser Maus, dieser Mutter, ein unzählbarer Haufen Kinder am Gesäuge klebte, benagte sie mit ihrem possierlichen Schnäuzchen ein weiteres Kind, das nicht ganz so rosig aussah wie seine Geschwister. Sie benagte einen Leichnam, während unten die Milch strömte. Mia hatte geschrien und war geflohen, gerannt bis zum Eingang, durch das quietschende Drehkreuz gewirbelt und erst unter dem Torbogen am Ende des Gangs mit den roten Reliefplatten wieder zum Stehen gekommen.
    Emil kaufte sich eine Tageskarte. Peter wartete abseits der Besuchermenge. Emil nahm seinen Arm. Gemeinsam liefen sie an den Wärtern mit ihren blauen Uniformen vorbei durch den Haupteingang. Sie vermieden die Gewächshäuser, die weißleuchtend in der Hitze lagen. Peter bewegte sich langsam, aber nicht mehr so schlaff und kraftlos wie in der ersten Woche. Statt zu schlurfen, hob er ordentlich die Füße und hielt sich fast gerade. Die Außenanlagen waren dicht mit Sommerblumen bepflanzt. Emil blinzelte und sah auf eine rotgelb lodernde Fläche, die am Rand der Glashäuser entlangbrandete. Aus der Rabatte ragten die fleischigen Zinnoberköpfe von Feuerlilien empor, und Emil nahm, je länger er zwischen den Blumen und dem hellen Belag des Weges hin und her blickte, nur noch die Farben wahr.
    Vor der Steinlandschaft der Brillenpinguine blieb Peter stehen. Die kleinen schwarzweißen Vögel standen mit geschlossenen Augen beieinander im Schatten. Jeder trug eine breite Metallklammer am Stummelflügel. Es sah unbequem aus, aber die Tiere schien es nicht zu stören. Emil erinnerte sich daran, daß vor einem Jahr ein Pinguin aus dem Gehege entführt worden war. Seine Schüler hatten ihm empört erzählt, der Vogel sei auf eine bestimmte Fischnahrung angewiesen. Radio und Zeitungen flehten den Entführer an, Sandy, so hieß der Pinguin, zurückzubringen, da sie ohne fachgerechte Pflege nicht überleben könne. Das Tier war nie wieder aufgetaucht. Fischgeruch hing über der Kolonie. Aus Schläuchen sprühte Wasser über die Felsen. Peter sah die Vögel nicht an. Als er auf die Tür der begehbaren Voliere zustrebte, rempelte er ein paar Leute an.
    In der Freifluganlage war es stickig. Durch das elegant aufgehängte Dach aus feingestrickten Drahtnetzen schien kein Lüftchen zu dringen. Emil wäre gerne draußen geblieben. Die engen Wege verliefen sich in üppigem Gebüsch. Eine Menge Vögel war innerhalb der Barrieren unterwegs, hüpfend, fliegend, unsichtbar raschelnd. Peter blieb stehen. Vor ihnen auf dem Weg jagten zwei Jungen, sie mochten zehn und zwölf Jahre alt sein, hinter einem braungefiederten Vogel her, der mit seinem ausgeprägten, eckig geplusterten Kopfputz lächerlich aussah. Er witschte über den sandigen Pfad und stieß ängstliche Laute aus. Der Jüngere ging in die Knie und griff nach ihm, während der andere versuchte, dem Tier den Fluchtweg abzuschneiden. Beide Kinder waren stark übergewichtig, doch bei der Jagd erwiesen sie sich als erstaunlich wendig. Fast graziös hatte sich der Kleinere auf die Erde geworfen. Mit vorgerecktem Arm, den ganzen Körper im Sprung gestreckt, hechtete er dem Vogel nach und berührte dabei dessen Schwanzfedern. Jäger und Gejagter schrien gleichzeitig auf. Auf den Zügen des Kindes sah Emil vollständiges Entzücken. In wortlosem Zusammenspiel sprang der andere Junge der flüchtigen Beute entgegen, verstellte den Weg hinter die schützende Barriere. Auf seinen zarten Krallenfüßen, dünn wie schwarzberindete Stöckchen, wippte der Vogel eilig davon, berührte kaum den Boden. In höchsten

Weitere Kostenlose Bücher