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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Tönen fiepend, schlug er einen Haken um seinen Verfolger und rettete sich mit einem letzten gewaltigen Hopser in einen Busch. Emil wunderte sich, warum er sich nicht einfach in die Luft erhob und flog. Schnell trat er auf die schnaufenden Jungen zu, benutzte seine Lehrerstimme: »Laßt den Vogel in Frieden! Hier darf man keine Tiere anfassen.« Die Kinder sahen erstaunt auf. Ihre verschwitzten, rot gefleckten Gesichter waren völlig arglos. Der Größere trat auf Emil zu. »Wieso? Wenn man sie kriegt, dann darf man das.« Der kleinere Junge stand auf, wischte sich die Knie ab. Emil sah im blassen Fleisch bläuliche Vertiefungen, wo sich Sand und Steinchen eingedrückt hatten.
    Das Kind schaute Emil vorwurfsvoll an. »Genau, die wolln das. Beinah hättn wir ihn gehabt.« Er sprach verschmiert und undeutlich. Emil musterte die beiden, die dicken Plastiksohlen ihrer Turnschuhe, die Bermudas mit Armee-Druck, den kleinen Goldring im fleischigen Ohrläppchen des Älteren, die künstlich blondierten Haarsträhnen, verklebt von Gel und Schweiß, die mit Speck ummantelten Fuß- und Handgelenke, die weichen Bäuche unter den dünnen Shirts. Jetzt schämte Emil sich für seine Wut und kreuzte die Arme über der Brust. Es war niemand in der Nähe, der zu den beiden gehören konnte. »Diese Tiere können vor Angst sterben, wenn man sie berührt. Sie sollen hier so leben wie in der Natur.« Die Kinder starrten ihn weiter an, der ältere blaffte: »Scheiße, Mann«, wurde aber von seinem Begleiter unterbrochen, der Emil nicht weiter beachtete, sondern auf Peter zustürzte. Dieser hatte den grünen Vorhang zur nächsten Voliere hochgehoben. Emil ging davon aus, daß er von der Szene nichts mitbekommen hatte. In den Saum der Abtrennung waren Gewichte eingenäht. Peter hatte sichtlich Mühe, den schweren Stoff zu halten. Der Junge blieb vor Peter stehen und legte ihm die Hand auf den Arm. Er war schwer zu verstehen, schliff die Wörter zusammen und intonierte die Vokale so, daß sie sich kaum voneinander unterschieden. »Peter? Du bist doch Peter, oder? Komisch, dein Bart. Aber ich hab dich trotzdem erkannt. Warum bist du nicht mehr gekommen? Ich hab fast ’ne Stunde auf dich gewartet. Ich muß jetzt zu dieser Frau, aber die nervt. Die lacht immer so, und sie kennt das Pinguin-Spiel nicht. Wann kommst du wieder?« Peter ließ den Vorhang langsam zu Boden gleiten. Er trat einen Schritt zurück. Die Hand des Jungen hing ausgestreckt in der Luft. Peter scharrte mit den Füßen im Sand und begann, an der Seite seines Daumen herumzubeißen. Die Zähne lagen bloß, eckig und gelb ragten sie aus dem blassen Zahnfleisch, sein Gesicht verzerrte sich. Der Junge starrte Peter fassungslos an, der den Daumen aus dem Mund nahm und ihn an seiner Hose abwischte. Als er anfing zu reden, entspannten sich die Züge des Kindes allmählich. Peter bemühte sich, laut und klar zu sprechen. Emil staunte darüber, wie allein der Klang der Stimme etwas von seinem alten Selbst zurückbrachte, nur ein paar Sätze lang. »Pascal. Du bist hier. Ich kann nicht mehr in die Praxis kommen, tut mir leid. Tut mir wirklich leid.« Peter ging vor dem Jungen in die Knie und artikulierte mit deutlicher Stimme und übertriebenen Mundbewegungen: »Denk daran, daß du mit ›dem‹ und ›den‹ weitermachst. Das hattest du so gut drauf. Ich fange den Vogel. Ich bringe dem Vater ein Bier.« Ein schwaches Grinsen sprang zwischen ihm und dem Jungen hin und her, um sofort wieder zu erlöschen. Peter erhob sich und steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans. »Jeden Tag üben, nicht vergessen.«
    Dann drehte er sich um, trat durch den Vorhangspalt, klinkte die Metalltür dahinter auf und schob sich durch. Emil sah die Gesichter der Kinder, ihre vollständige Verwirrung, die weit aufgerissenen Augen. Er wußte nicht, was er ihnen sagen konnte, murmelte noch: »Er kommt bald wieder«, dann hastete er hinterher. Als er sich durch den Türspalt zwängte, hörte er die laute Stimme des Älteren: »Was war denn das für ein Penner?«

9 Nach dem Besuch der Vogelanlage klagte Peter über Schwindel und Kopfschmerzen. Er hockte unter einer mächtigen Buche und weigerte sich, weiterzugehen. Emil kaufte am Kiosk beim Amazonienhaus eine Flasche Wasser. Mehrere Leute standen vor ihm an der Kasse. Er drängelte sich dazwischen, knallte sein Geld auf den Tresen und rannte zurück, ungehaltenes Gemurmel im Rücken. Peter trank ein paar Schlucke und wollte dann zur Toilette. Emil hakte ihn

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