Am Schwarzen Berg
unter und führte ihn langsam zum Wandelgang am Seerosenteich, hinter dem sich die Waschräume befanden. In der Kühle des schattigen Säulengangs lehnte sich Emil an die Mosaikwand und wartete.
Sie saßen auf einer Bank am oberen Ende des Teichs. Trotz der Entfernung erkannte Emil Mia sofort an ihrem enggeschnittenen gelben Sommerkleid. Sie hatte es im Jahr zuvor zu einem Kaffee- und Kirschenpflückbesuch bei Carla getragen. Es war ein auffälliges, sehr kurzes Kleid mit wildem Zitronenmuster und tiefem Rückenausschnitt, die puren Siebziger. Veronika hatte es bewundert. Das dunkle Haar hatte Mia heute zu einem Pferdeschwanz gebunden, der wie ein kleiner Pinsel vom Hinterkopf abstand. Emil kannte diese Frisur nicht an ihr. Sie wühlte in ihrer Handtasche, förderte zwei Trinkpäckchen zutage. Emil versuchte, Jörn und Ivo in der unermüdlich um den Teich rennenden Kinderhorde auszumachen. Viele Jungen hatten Kappen mit länglichem Schirm auf. Er sah die wehenden Röcke der kleinen Mädchen, ihre fliegenden weißen Beine, hörte Sandalenklatschen, die hohen Juchzer der Fänger und Gefangenen. Mia nahm eine Kekstüte heraus, ihre freiliegende Rückenpartie leuchtete zimtfarben. Der Mann neben ihr war sehr groß, auf seinem Kopf saß ein altmodischer Strohhut, der sein Gesicht verbarg. Emil konnte seine langen Beine und seine Hand sehen, die langsam über Mias Wirbel wanderte. Sie beachtete ihn nicht und kramte weiter. Emil blickte zu den halbrund geschorenen Taxussäulen hinüber, die in der Anlage verteilt standen wie mächtige schwarzgrüne Bienenkörbe. Immer wieder brachen Kinder aus dem Kreis aus, um sich dahinter zu verstecken. Mia lachte jetzt laut, ein heller, gläserner Triller, lehnte sich an die Schulter des Mannes, der sie eng an sich zog. Er beugte sich vor und nahm den Hut ab, um ihr damit Luft zuzufächeln. Die Sonne schien ihm ins Gesicht.
Es war Otto Bohnenberger, der sich hier auf der Bank räkelte. Emil erkannte sein Grinsen, das strähnige graue Haar, das unordentlich um das von der Sonne gerötete Gesicht hing. Die Frau bettete ihren schönen Gemmenkopf auf seine Hemdbrust.
Emil trat ins gleißende Nachmittagslicht. Die fleischigen Blüten der tropischen Seerosen waren weit geöffnet. Ihre rosigen Gesichter lächelten wie Mia, kühl, duftend und golden auf dem Grund. Emil war bereit zu handeln. Er würde sie einfach mitnehmen, höflich seinen Arm anbieten und sie wegführen. Ihr Mann befand sich gleich in der Nähe, auch wenn er im Augenblick nicht gerade ansehnlich war und nach Mundtrockenheit und Angstschweiß roch. Auch wenn ihm der Bart nicht stand und seine Hände nicht manikürt waren. Es war doch immer noch Peter, und Mia gehörte zu Peter. Sie würde mit ihm kommen, genau wie die Kinder, die Emil in all dem Gewimmel bis jetzt nicht hatte finden können. In letzter Zeit dauerte es immer ewig, bis Peter vom Klo wieder runterkam. Kein Wunder, daß Carla den Türriegel demoliert hatte. Es konnte sein, daß Emil schnell noch an den sternübersäten Mosaikwänden des Wandelgangs, an den blühenden Kletterrosen vorbeihasten und in die überfüllte Herrentoilette eindringen mußte, ein Zehncentstück in der Hand, um die Verriegelung zu knacken und diesen Verdammten von der Schüssel zu heben, wo er festhing, die Hosen in den Kniekehlen, die Schenkel aneinandergedrückt in einem Krampf der Verzweiflung, das Gesicht halb verdeckt von einer Hand, so daß nur ein im höchsten Entsetzen aufgerissenes Auge sichtbar blieb und weiter auf das eigene Elend starrte. Gemeinsam würden sie diesen französisch parlierenden Riesen zu Boden strecken und ihm Mia entreißen, um als Sieger nach Hause zurückzukehren.
Peter trat neben Emil auf den Weg und stieß ihn an. Er sprach leise. »Ich bin müde. Laß uns gehen. Es hat sowieso keinen Sinn. Sie sind nicht hier.« Emil fuhr herum. Peters Hand war naß, ebenso sein Gesicht, der Bart und das Polohemd, das rund um den Halsausschnitt triefte. »Ich hatte Durst. Diese Tabletten von Papa machen eine Zunge wie Schmirgelpapier.«
Inzwischen saßen auf der Bank am Teich zwei Kinder und saugten eifrig an ihren Trinkpäckchen. Die junge Frau im Zitronenkleid war aufgestanden und verteilte Kekse an die beiden kleinen Mädchen, die mit aufmerksamen Augen jeder ihrer Bewegungen folgten. Auch sie trugen gelbe Kleider. Die dunklen Haare waren zu winzigen Rattenschwänzen gebunden. Otto Bohnenberger hatte sich ebenfalls erhoben. Er zog eine seiner Töchter neckisch am Zopf.
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