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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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schmalen Streifen fiel das Fleisch auf die Blechschaufel, die der Mann darunter hielt. Peter griff in seine Hosentasche und holte einen Geldschein heraus. Den nachgeschenkten Wein trank er noch am Tresen aus und ließ sich ein weiteres Glas geben, das er zurück an den Tisch brachte. Er setzte sich neben Emil.
    »Ich bin heute nacht wieder aufgewacht. Um drei Uhr elf war das. Mein Vater hat mir einen Radiowecker neben das Bett gestellt. Die Zahlen leuchten rot im Dunkeln. Ich kann nur wegen der Medikamente schlafen, aber nie sehr lange.«
    Er riß noch mehr Krautfäden aus dem kalten Döner. Peters Atem roch unangenehm. »Um drei Uhr elf bin ich im Etzelweg jede Nacht aufgewacht, weil Jörn genau dann seinen Albtraum hatte, wochenlang denselben. Es ging um einen Fuchs. Er kroch aus seinem Deckbett hervor und biß ihn in die Wade, so fest, daß er jedesmal weinte. Die Tränen liefen ihm aus den geschlossenen Augen. Dabei schlug er um sich, schrie und trat, griff nach seinem Bein, aber er wachte nicht auf. Das einzige, was half, war, sich neben ihn zu legen und ihn fest zu umarmen. Ich habe die Kinder oft in den Park mitgenommen; jedesmal, wenn ich dort zur Nachtwache eingeteilt war. Wir haben viele Tiere gesehen: Fledermäuse, Kaninchen, Käuzchen, einmal auch einen Fuchs. Er hat Männchen an einem Papierkorb gemacht und sich Abfälle herausgezogen. Die Jungen lagen im Zelteingang auf dem Bauch, keine vier Meter entfernt. Sie konnten sich kaum sattsehen.«
    Mit einer langsamen Bewegung schob Peter seinen Teller von sich und seufzte dabei. Ein paar Gäste drehten sich nach ihnen um. Peter schien weder die Flaschen und Gläser vor sich noch das staubige Kunstblumensträußchen in der Tischmitte zu sehen. Ein Weinglas und eine halbvolle Sprite-Flasche stürzten um, während Peter leise weitersprach: »Mia schläft so fest. Sie wacht nicht mal auf, wenn das Telefon klingelt. Als die Kinder Babys waren, mußte ich sie zum Stillen wachrütteln. Sie wird Jörn nicht hören.«
    Bevor Emil antworten konnte, stand Peter schon wieder auf. Es gab im Lokal noch einige Männer mit Bärten und bekleckerten T-Shirts, allein ihm folgten die Blicke. Sein tastender Gang und der auf den Boden geheftete Blick unterschieden ihn von allen anderen. Emil trocknete die Tischplatte und seine Hosen mit Papierservietten und verfluchte sich dafür, daß er nicht sofort nach Hause gefahren war. Nach Hause zu Carla, die wahrscheinlich schon seine Mailbox mit besorgten Nachrichten gefüllt hatte. Er hätte sie längst anrufen müssen.
    Peter bestellte noch einen Wein und kam zurück. Er stieß sich die Tischkante in die Hüfte, schien das aber nicht zu merken »Peter, bitte, hör damit auf. Es ist nicht gut für dich!« »Es spielt schon lange keine Rolle mehr, was für mich gut ist und was nicht. Es ist in Ordnung.« Er hob das Glas an die Lippen. »Mein Vater hätte mich längst hier rausgezerrt. Sie beide. Sie verstehen nicht, daß das alles nichts bringt. Auch die Tabletten nicht. Ich merke überhaupt nichts davon. Es ist wie ein Schmerz, der nie aufhört. Ich will das nicht mehr.« Emil konnte nichts erwidern. Er sah an Peter vorbei aus dem Fenster. Vor dem Trödelladen mit seiner Schaufensterreihe voll afrikanischer Masken, Vasen und geschnitzter Stühle stand eine kleine Frau in einem hellen Sommermantel. Sie war ganz in das Kleidungsstück eingeknöpft, ihr dünner Hals ragte über dem Kragen empor, das Haar war grau und strähnig. Emil konnte sehen, wie der Wind es zerzauste. Sie hielt eine Plastiktüte an ihren Zipfeln und schüttelte sie aus wie einen Kissenbezug. In der Tüte waren Körner gewesen, vielleicht Mais. Aus der Entfernung konnte Emil nichts erkennen, nur den breiten gelblichen Strom, in dem sie sich auf den Gehweg ergossen. Die Tauben kamen aus allen Richtungen. Sie liefen, hüpften, flatterten übereinander. Die Frau schüttelte die letzten Körner aus der Tüte und stülpte sie um. Die Vögel am Boden schlossen sich zu einer purpurgrauen, wogenden Decke, in deren Mitte die Frau mit geschlossenen Augen stand. Die gefiederte Schar lief ihr über die Füße. Sie lächelte und reagierte in keiner Weise auf das Kopfschütteln und Schimpfen der Vorübergehenden. Peter sagte nichts, obwohl sein Blick dem Emils gefolgt war. Er legte den Kopf auf die Tischplatte.
    Im Lokal war es ruhig, die meisten Gäste saßen schweigend, die Köpfe tief über ihre Teller gebeugt. Aus den Boxen zog ein neues Lied seine schweren, süßen Schleifen

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