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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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frischem Kaffee. Geschirr klapperte, Leute standen geduldig aufgereiht neben der mannshohen Eiswaffel am Eingang.
    »Einmal hab ich sie noch gesehen.« Peter kratzte sich am Kopf. »Ein paar Tage nachdem sie ausgezogen ist. Plötzlich stand dieses Auto vor dem Haus, die Jungs hinten drin. Ein schwarzer Volvo. Wahrscheinlich von ihrem neuen Typen. Mia ist ausgestiegen und hat ihnen zugerufen, sie sollten sitzen bleiben, sie komme sofort wieder. Normalerweise hätten sie nie auf sie gehört. Sie sind immer zu mir gerannt, haben sich auf mich gestürzt. Sie benehmen sich, als seist du der Messias, hat sie mal gesagt. Jetzt blieben sie drinnen. Lauerten unbeweglich auf der Rückbank. Wie zwei bissige Hunde. Sahen zu, wie wir uns anschrien. Die Fenster waren zu, obwohl es so heiß war wie heute. Innen an den Scheiben hingen diese Schattenspender in Fußballform. Ihre Gesichter verschwammen dahinter wie durch ein Sieb. Sie saßen ganz still und starrten nur. Beide hassen Fußball. Warum, weiß ich nicht. Wenn die Nachbarskinder auf der Wiese am Wald gebolzt haben, saßen sie immer oben auf dem Tor und haben Sprüche geklopft. Aber alle haben das akzeptiert. Es war in Ordnung.«
    Peter rieb mit seinem Daumen über die Nasenwurzel, die Haut rötete sich. »Sie hatten Angst vor mir. Ich sah es in ihren Augen. Und ich hatte auch Angst. Ich konnte nicht zum Auto gehen und ihnen sagen, sie sollen aussteigen. Ich wußte, sie würden es nicht tun.« Er ließ Emil stehen und ging weiter bis an die Kreuzung. Die Olgastraße stieg mächtig und stark befahren bergan. Emil preßte seine flache Hand auf den gelben Signalgeber der Ampel. Das Metall war heiß und klebrig. Peter fing plötzlich wieder an zu sprechen: »Ivo, Jörn und ich haben uns nur angesehen, ich weiß nicht, wie lange. Mia kam wieder, sie hatte eine Tasche voller Papierkram in der Hand und stieg ein. Ich bin zum Auto gegangen und habe die Hand ausgestreckt, um die Tür zu öffnen. Da ist Ivo zusammengezuckt, nur eine winzige Bewegung, die durch seinen Körper lief wie ein elektrischer Schlag. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, stand einfach nur da. Mia stieg ein. Sie hat die ganze Zeit geredet, ich hörte nichts davon. Erst als der Wagen losfuhr, sind die Kinder lebendig geworden. Sie haben sich umgedreht, in diesen schrecklichen Sitzen, haben an ihren Gurten gezogen, sich hingekniet und durch die Rückscheibe geschaut. Meine Arme waren wie gelähmt. Sie haben gewinkt. Ich nicht.«
    Emil fühlte sich vollkommen hilflos. Eine alte Frau mit zwei vollgepackten Einkaufstüten rempelte ihn an und schüttelte den Kopf, als sie sich an ihm vorbeidrängte. Er war ihr dankbar dafür, daß sie das Gespräch unterbrach, ihn von Peter abschnitt, der einfach weitertrottete, ohne eine Antwort abzuwarten. Emil war nicht in der Lage, anders auf diese Geschichte zu reagieren als mit dem Satz: »Komm, da vorne ist die ›Schlange‹. Wir setzen uns in den Keller und bestellen was Kaltes zu trinken.«
    Vor der ›Schlange‹ standen keine Stühle. Auch die Tafel mit den Tagesangeboten fehlte. Die Tür war verschlossen.Emil rüttelte an der Klinke. Als er schließlich hilfesuchend den Kopf hob, hinauf zu den bekannten Gesichtern, dem grinsenden Reptil mit der gespaltenen Zunge, dem apfelbackigen Buben mit dem Löffel, fuhr er zurück. Die altersschwarze Bohle, aus der die geschnitzten Figuren sonst so lebendig heraustraten, war verschwunden. An ihrer Stelle leuchteten mehrere hellgelbe Zimmermannsbalken. Er roch ihren Harzduft und sah, wie die Spreißel dicht und fasrig von dem frisch geschnittenen Holz abstanden. Emil zitterte so sehr, daß er sich auf die Stufen setzen mußte. Es war Peter, der ihn hochzog. »Schon wieder irgendwelche Bauarbeiten. Warum regst du dich denn so auf? Ist doch völlig egal. Ich muß jetzt was trinken, mir ist es gleich, wo.«
    Emil war außer sich. Es konnte nicht sein, daß die ›Schlange‹ plötzlich verschwunden war. Das Schild an der Tür sah er erst, als Peter es ihm zeigte. Ein amtliches Schreiben in einer Klarsichthülle, festgepappt mit braunem Klebeband. Ein Fetzen, auf den es schon geregnet hatte, verwischte Stempel, zerlaufene Druckerfarbe, eine hingeschmierte Unterschrift. »Jetzt komm wieder runter, Emil! Warum müssen wir ausgerechnet hier rein? Es wird renoviert, da steht es doch.« Ganz erwachsen klang er, resigniert und erschöpft. Als sei Emil derjenige, dem man das Händchen halten mußte.
    Peters blasses Gesicht, seine

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