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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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locker. ›Ich geh ja immer zum Joggen rauf in den Wald, da hab ich ihn gesehen, in eurem Garten. Ganz still saß er im Liegestuhl. Weißt du, wir haben uns ja alle gefragt, warum er damals nicht Medizin studiert hat. Der Peter, der müßte einfach mal mit den richtigen Leuten zusammenkommen, das würde ihn bestimmt auf andere Gedanken bringen. Oliver und Sven sind beide an den Wochenenden mit ihren Familien bei uns. Da könnten sie sich doch mal treffen.‹ Und wenn sich der Peter ein bißchen zusammenreißen würde, dann bekäme er sicher bald einen neuen Job!« Carla ballte die Fäuste. »Ich hab sie einfach stehengelassen. Du kannst solchen Leuten nichts erklären. Im Moment ist es sowieso am besten, ich rede mit niemandem darüber. Meine Freundinnen vertröste ich bei jedem Anruf.« Sie schniefte. Emil kannte ihre kleine Clique, Frauen, die sie sich mit viel Mühe aus anderen Zusammenhängen als Dorf und Praxis gepickt hatte. »Ich schaffe es nicht, sie zu sehen. Eigentlich wäre ich längst dran, ich schulde schon ein großes Kaffeetrinken. Aber wenn sie von ihren Männern und ihren Reisen erzählt haben, kommen zum guten Schluß die Kinder. Alle gesund und glücklich und verheiratet. Lauter gute Mütter mit guten, guten Kindern. Da kann ich nicht mehr mithalten.«
    Carla angelte sich ein paar bleiche Makkaroni von Emils Teller und schob sie in den Mund. »Ich hab schon acht Pfund zugenommen, seit die Geschichte angefangen hat. Es ist das einzige, was hilft. Ich kann erst aufhören, wenn mir richtig schlecht ist. Als ob es in mir ein Loch zu stopfen gäbe.« Sie griff noch einmal zu, eine halbe Nudel fiel ihr aus dem Mund und blieb auf dem Fußboden liegen. »Nach dem Kaffee holen fast alle ihre Zigarettenetuis raus. Es sind ja keine kleinen Kinder da und keine Schwiegertöchter. Man rückt zusammen. Die Handys piepsen, die Displays leuchten. Fotostunde. Wir aschen in die Kuchenreste, zeigen Bilder herum: von unseren Enkeln, von unseren glücklichen Söhnen!«
    Sie weinte, schluckte Nudeln und Rotz, sah Emil an: »Ich schaff es nicht, mich dem auszusetzen, Emil, ich schaff das einfach nicht. Ich habe keine Enkel mehr. Weißt du, was ich sage, wenn meine Mädels anrufen?« Emil zuckte die Achseln. »Ich sage: Hajo und ich haben gerade eine schwierige Phase, wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren. Das kommt in all diesen langen Ehen vor, das verstehen sie. Ein Mann ist nicht so schlimm wie ein Kind, der geht nicht auf deine Rechnung. Daß Männer komisch sind, darin sind sich alle einig. Das Kind aber, das hast du allein zu verantworten. Was aus ihm wird, wie es ihm geht. Du darfst auch nicht fett werden oder aufhören, dir die Haare zu färben. Du hast nicht gut genug aufgepaßt. Es ist natürlich deine Schuld, wenn etwas schiefläuft. Und das, obwohl ich fast immer zu Hause war. Oder du! Ein Schlüsselkind hätte noch eher ein Recht darauf, überzuschnappen.« Sie riß ein Stück Zewa von der Rolle und putzte sich die Nase. »Am meisten Angst habe ich davor, daß doch eine auf die Idee kommt, hier nach dem Rechten zu sehen. Wenn sie dann Peter und mich vorfindet, im Bad, wie ich versuche, ihn zu überreden, daß er sich wäscht. Oder ißt. Oder atmet!«
    Carla ließ den Kopf hängen und heulte hemmungslos. Emil ging hinüber zu Peter, der auf dem Bett lag und auf den Fernseher schaute. Veronika kam nach Hause. Die Frauen blieben in der Küche und tranken zusammen wasserklaren Obstler. Hauptsächlich Zwetschgen, mit Einsprengseln von Brettacher, Ontario und Geißhirtle. Carla schlief mit dem Kopf auf dem Küchentisch. Hajo erschien gegen halb neun. Er holte seine Frau. Er hob sie ohne Umschweife vom Stuhl. Die langen Beine mit den abgewetzten roten Riemchenschuhen baumelten über seinen rechten Arm. Sie drückte den Kopf gegen seinen Hals, ihre Waden waren blaß und stoppelig. Hajo trug sie langsam und ächzend über die Schwelle der Bubs. Veronika hielt den beiden die Tür auf. Ihre Zigarette glühte Emil rot und einsam entgegen, als er durch den dunklen Garten gelaufen kam.
    In der Toilette des Döner-Lokals rollte Emil ein paar Bahnen Klopapier ab, zerknüllte sie und warf sie über das Erbrochene am Boden. Er schob mit dem Fuß einen Haufen zusammen, trat aus der Kabine, spritzte sich am Waschbecken reichlich kaltes Wasser ins Gesicht, reinigte notdürftig Hemd und Hose, spülte den Mund aus und trat wieder in die Imbißstube. An seinem Tisch stand ein unberührtes Glas Rotwein vor seinem leeren Platz.

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