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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Wenn das Mädchen Mia zur Schule aufbrach, stand der Becher in der Küche auf dem Klapptisch. Zitronentee-Granulat bedeckte seinen Grund, die sandfarbenen Köttel eines winzigen Hasen. Mia ließ heißes Wasser direkt aus dem Hahn darüberlaufen und rührte heftig um. Stechende Süße fuhr bis in den Magen und ließ den Speichel heftig fließen. Die Mutter schlief um diese Zeit noch, sie arbeitete bis spätabends in einer Krankenhauswäscherei.
    Unter den zusammengewürfelten Ausstattungen ihrer Kommilitoninnen fielen Mias Besitztümer nicht weiter auf, weil auch Mittelstandskinder für die erste Bude aus den Kellern ihrer Eltern keine Designerstücke mitbekamen. Schon die Grundschülerin Mia spürte die Häßlichkeit, den Zorn und die Verachtung aus jedem beschmierten Briefkasten, jedem eingetretenen Kellerfenster ihrer Wohnsiedlung zwischen den Gleisen der U 9 und dem Industriehafen.
    Mia goß sich nach. Der Wein rann dunkel in das dünnwandige Glas. Alles in Georgs Haus war schön und geschmackvoll, das Ergebnis von Mühe, Zeit und Geld, von der liebevollen Suche nach besonderen Dingen, die über Jahre hinweg zusammengetragen worden waren. Um den langen Holztisch in der Küche standen acht geschnitzte Stühle, von denen keiner dem anderen glich. Neben dem Kamin hing der Schürhaken, sein Griff war ein Männerkopf mit Turban. Seit Georgs Abfahrt hatte sie kein Feuer gemacht. Im düsteren Bauch des Kamins lag ein weißgrauer Aschehaufen. Der Küchenboden war mit Terrakottaplatten gefliest. Neben der Tür zum Garten wuchs eine steinerne Bank aus der Wand. Auf ihr verschlief Georgs Katze Orangina den größten Teil des Tages. Ivo und Jörn liebten das alte Tier mit dem schwarzgelb gefleckten Fell und den grünen Augen, das so zerrupft und räudig aussah, als seien Motten über seinen Pelz hergefallen. Sie fütterten die Katze regelmäßig und hockten lange vor ihr, um den zottigen Bauch zu kraulen, den sie ihnen wohlig schnurrend entgegenreckte.
    Seit Wochen befanden sie sich jetzt hier im Tessin, in einem Ferienhaus, das eigentlich eine Villa war. Sie lag am Ausgang einer kleinen Ortschaft, hoch über dem Ufer des Sees. Hinunter ins Tal fuhr man etwa eine halbe Stunde über enge Serpentinen. Die grauen Granithäuser des Dorfes klebten an den Hängen, ein stechend blauer Himmel breitete sich über den Bergen aus, und wenn man sich am Platz vor der Kirche über eine Mauer lehnte, konnte man ein Stück des Lago Maggiore aus dem Dunst emporflimmern sehen. Georg hatte Mia und ihren Söhnen das Haus angeboten, so locker, wie man eine Tasse Kaffee anbietet.
    »Warum geht ihr nicht nach Trarego? Das Haus steht die ganze Zeit leer. Willi kommt in diesem Sommer gar nicht nach Europa, und ich muß diese Doku fertigmachen. Es ist genau das Richtige für euch. Da gibt es ein ganzes Zimmer voll Spielzeug und Comics. Willi kann sich nicht davon trennen. Deine Jungen werden ständig in Dorf und Garten unterwegs sein. Es ist ein Paradies. Ich bringe euch hin, zeige euch alles und hole euch wieder ab. Und das Katzenvieh kommt auch mit, das ist seine Sommerfrische dort gewohnt.«
    Mia war dankbar für Orangina, dankbar für den Garten mit seiner weiten Rasenfläche, seinen Oleanderkübeln, Feigen- und Apfelbäumen, den Beeten voller Salbei, Rosmarin und Oregano, dankbar für das Kinderzimmer im ersten Stock, wo Ivo und Jörn jetzt schliefen. Es hatte einen Holzfußboden und Fenster mit dunkelgrünen Klappläden, vor denen sich die Berge entlangzogen wie ein breites, gezacktes Band. Die Fenster zeigten auf eine zweite Terrasse hinaus. Hier wuchs Wein an einem Holzgerüst empor, runzlige blaue Trauben mit dem Geschmack von Heidelbeeren.
    Es war der erste Sommer, den sie und die Kinder ohne Peter verbrachten. Seit Ivos Geburt waren sie immer gemeinsam verreist, auf italienische oder französische Campingplätze oder in spartanische Ferienwohnungen. Einmal hatte Mia Peter zu einem Pauschalurlaub an der türkischen Riviera überredet. Die spontan im Internet gebuchte Woche wurde ein Fiasko. Ivo und Jörn hatten sich weinend an Peters Beine geklammert und waren aus der Kinderbetreuung geflohen, vor den mit Tiergesichtern geschminkten Animateuren und den Disco-Hits, die am Pool aus den Boxen dröhnten. Peter hatte angeekelt die an Bar und Büffett stehenden Menschenschlangen, die vollgehäuften Teller und sonnenverbrannten, tätowierten Körper betrachtet. Zwei Tage lang sprach er nicht mit Mia, verließ morgens mit den Jungen das Hotelzimmer

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