Am Schwarzen Berg
zu Hause verbracht hätte wie mein Sohn.«
Am Vordereingang des Hauses in Trarego stand, metallene Lettern an der dunkelgelben Wand, ein Name: ›Casa Cornelia‹. Mia hatte gestutzt und Georg gelacht. »Wie die römischen Kaiserinnen. Meine Mutter war«, Georg grinste erneut, »in zweierlei Hinsicht gebildet: hochgebildet und eingebildet.«
Trotz dieser Spöttelei hatte Mia das Gefühl gehabt, sich diesem Haus und auch Georgs Mutter vorstellen zu müssen, indem sie ihren eigenen Namen laut aussprach und der Aufschrift versicherte, wer sie war. Ich bin Mia. Meine Mutter hat mir diesen Namen gegeben. Zu mehr als drei Buchstaben hat es nicht gereicht. Die Maria habe ich später selbst dazugestellt. Mia ist die Abkürzung von Maria. Niemand weiß, daß mein Name aus einem Songtext kommt. Von Abba: ›Mamma Mia‹. Die Mutter hatte schon ziemlich geladen, als sie davon erzählte. In der Pförtnerloge der Klinik lief das Radio. Obwohl sie starke Wehen hatte, ließ der Kerl sie warten. Weil sie keinen Mann dabeihatte, der Dampf machte. Sie stand da, gekrümmt von Schmerzen, und mußte sich dieses schwachsinnige Lied anhören. Und als sie mich im Arm hatte, später, und die Hebamme sagte: Hier ist die Mama, da habe sie gedacht, jetzt sind wir ganz allein, Mama und Mia. So ist der Name entstanden, Mama und Mia, ganz allein auf der Welt. Beschissener und kitschiger geht es wohl nicht. Das kann man niemand erzählen, und jetzt stehe ich hier und erzähle es der ›Casa Cornelia‹.
Mit Peters Eltern und auch mit diesen Nachbarn, Emil und Veronika, die allesamt an ihm klebten wie an einem Fliegenpapier, hatte Mia nur selten über ihre Mutter gesprochen. Die meisten ihrer Ausflüge zum Schwarzen Berg waren geprägt von Anspannung und Konzentration. Sie schwieg und lächelte die meiste Zeit, um keine Fehler zu machen, nicht preiszugeben, wie unsicher sie sich in der Gegenwart von Peters Eltern fühlte und weit mehr noch im Wohnzimmer der Bubs, wo mehr Bücher standen, als sie je in einer Privatwohnung gesehen hatte. Die enge Verbindung dieses seltsamen Pärchens zu Peter war Mia ein Rätsel. Sie fühlte sich unentwegt eingekreist, bombardiert von unverständlichen Anspielungen: Gedichtfetzen, Orten und Namen. Hinzu kam die schiere Anzahl der Wächter über den Mann an ihrer Seite. Hinter ihr hing nur der Schatten der Mutter. Peter war von vier Leuten umgeben, die sein Leben geteilt hatten und bei jeder Gelegenheit ihre Besorgnis zum Ausdruck brachten.
Doch der weiße Bungalow seiner Eltern und das brotkrustenfarbene Hexenhaus der Bubs waren auch Sehnsuchtsorte. Staunend, neidvoll und gierig hatte sie als Kind die Heime ihrer Freundinnen betreten, alte Weingärtnerhäuser mit Fachwerk und schmucke Neubauten an den grünen Hügeln hinter dem Markplatz, keine zehn Gehminuten entfernt von der Geislinger Straße, wo die langen, angegrauten Wohnblöcke, getrennt durch schmale Grasstreifen, an das Hafengebiet stießen. Am Schwarzen Berg ging es Mia ähnlich. Mit einem Strauß Gerbera und Schleierkraut war sie dort nacheinander vor zwei Türen gestanden, um an Carlas wie an Veronikas Lächeln sofort zu merken, daß sie wieder eine Falle übersehen hatte. Die Gerbera wurden von Carla ohne Schleierkraut in einer hohen Glasvase, von Veronika mit einem Armvoll Grünzeug aus dem Garten in einen Tonkrug arrangiert und viel zu laut bewundert. Fast dankbar dachte sie an die Mutter. Sie war gut verstaut in einem von Cotoneaster überwachsenen Reihengrab auf dem Wangener Friedhof. Ein armseliger Platz für einen armseligen Tod, von der Straße weggewischt von einem alkoholisierten Autofahrer. Es gab für Mia nur noch die eigene Blamage. In das mürrische Gesicht mit der vorgeschobenen Unterlippe konnte sie nicht mehr hineinschreien. Für den Besuch bei den ›Gegenschwieger‹ hätte die Mutter zu den obligatorischen Trevirahosen ihre braune Bluse getragen und dazu die ›Augenkette‹: blauglotzende Emaillekugeln in goldener Talmifassung, die über den schweren Brüsten aneinanderklackerten. Erst nach dem Türkei-Urlaub war Mia klargeworden, daß dieser Feiertagsschmuck vom Vater stammen mußte. Der wütende Proletenstolz der Mutter hätte vor ›Peters Leuten‹ nicht haltgemacht. Mit Kennermiene wäre sie auf die Schmuddelecken beider Haushalte losgegangen. Bei Carla gab es sicher wenig zu mäkeln. Veronika hingegen bot viele Angriffsflächen. Der Hochmut der Mutter über den Dreck, den ›Droosch‹, die Sauerei bei ihren betuchten
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