Am Schwarzen Berg
einer Fußballübertragung herübergeweht, unterbrochen von Pfiffen und italienischen Flüchen. Georg hatte den Kopf gegen ihren Hals gepreßt und ununterbrochen gemurmelt, bis er kam. Ihren Namen. Kosewörter. Meine Schöne. Unglaublich. Daß ich. Dich habe. Peter hatte nie viel gesprochen, wenn sie so zusammenlagen. Er besaß im Bett eine ungeheure Souveränität, die keine Worte brauchte. Mit ihm hatte sich Mia frei und unbeschwert gefühlt, nie den Eindruck gehabt, sich beweisen zu müssen. Georg redete nicht nur beim Vögeln, er wechselte auch die Positionen, sprang sogar einmal auf, um Wein aus der Küche zu holen, und machte gleich danach weiter.
Die ersten Jungen, mit denen Mia geschlafen hatte, waren ihresgleichen gewesen. Meist aus der Nachbarschaft. Sie verstand ihre Gesten, ihre Sprache, sie wußte, daß Kai, der ihre Hand packte und mit ruppigen, entschlossenen Bewegungen seinen Penis rubbeln ließ, der Sachen sagte wie ›Ja Baby, gib’s mir!‹, Pornofilme imitierte, die er mit seinen Kumpels zusammen gesehen hatte. Heute gab es das überall, aber in den Achtzigern waren es die Typen mit den selbstgestochenen Tattoos aus den schlechten Vierteln gewesen, die mit den Körpern ihrer Freundinnen das nachstellten, was sie auf den Leinwänden der Kinos am Hauptbahnhof, auf Videokassetten ihrer Väter und Brüder gesehen hatten. Sie hatte mit ihnen getrunken, geraucht und sich nicht darüber beschwert, wenn Kai, Zoltan oder Mehmet ihr mit dem Handrücken auf den Mund schlugen, weil sie endlich die Fresse halten sollte. Sie alle verschwanden nach und nach hinter der riesigen Mauer, die Mias mäßiges Abitur zwischen ihnen errichtete. Zwischen diesen Jungs und Peter lag eine Reihe von Kommilitonen, die wenigsten einprägsam, die meisten freundlich und sanft, trotz ihres bemüht harten Grundge-Outfits. Sie dachte an Stefan, ihren ersten Freund an der Pädagogischen Hochschule. Als sie seinen Schwanz packte und heftig zu wichsen begann, setzte er sich auf und sah sie mit großen Augen an. Erst allmählich hatte sie begriffen. Die Mädchen, durch deren Hände diese Studenten vor ihr gegangen waren, bezogen ihre Vorstellungen von Sex nicht nur aus amerikanischen Filmen, sondern auch aus ›Narziß und Goldmund‹ und ähnlichen Vorlagen, die sie in den Bücherwänden ihrer Eltern fanden. Sie hatte schnell gelernt und würde es auch diesmal schaffen, sich anzupassen. Peters selbstvergessene Hingabe vermißte sie trotzdem.
Mia stand auf, schob das Fliegengitter zur Seite und schlüpfte in die Küche. Die Katze zuckte mit den Ohren. Mia blickte über die Borde mit Geschirr, die armlange Pfeffermühle, die blauen Pappschachteln mit italienischen Nudeln, Karamellpudding, Pilzrisotto und fühlte sich fremd. Sie gehörte nicht hierher. Sie gehörte in den Etzelweg, zu ihrem erbärmlichen Sofa, dessen Bezug löchrig und scheckig geworden war nach Jahren des Besabberns und Bekletterns: »Laß die Kinder doch frei sein!« In den Etzelweg mit seinen keksdünnen, seit dem Einzug nicht mehr gestrichenen Wänden, den vermackten Türen und wackeligen Möbeln. Peters indische Wandbehänge waren ausgeblichen, am Herd funktionierten nur noch drei Platten. Für Kleidung, Haushaltsgegenstände und kleinere Möbel zog Peter mit den Jungen ungeniert über Flohmärkte, die Mia nicht ertragen konnte. Der Geruch der Altkleider, die Anhäufung ärmlichen Krempels peinigte sie bis zur Übelkeit. Mia haßte ihre Wohnung schon lange, genau wie das ganze Heslach. Die Böblinger Straße mit ihrer schäbigen Bazar-Atmosphäre glich allem, was sie hinter sich lassen wollte. Ein paar Schritte entfernt aber standen die Einzelhäuser mit Garten, um ihr täglich vorzuführen, was sie nicht erreichen konnte. Mia war in den Etzelweg gekommen mit dem Wunsch, bald weiterzuziehen, mit Peter, dem Arztsohn, als Leitstern. Die Kinder wurden größer, und sie waren immer noch dort. Peter schien völlig zufrieden zu sein. Genau wie seine Schutzgeister, die das ganze Versagertum verständnisvoll abnickten. Carla hatte auf ihr vorsichtiges Antippen hin so entschlossen die Schultern gestrafft, wie Mia es selten erlebt hatte: »Der Peter hat schon nach dem Abitur gemerkt, daß der Beruf seines Vaters für ihn nicht das Richtige ist. Er hat sich für einen anderen Weg entschieden. Ich finde, er macht das sehr gut, mit den Kindern und seiner Halbtagsstelle. Er ist einer von diesen neuen Vätern, nicht wahr? Wie froh wäre ich damals gewesen, wenn Hajo so viel Zeit
Weitere Kostenlose Bücher