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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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und fuhr mit dem öffentlichen Bus zu einem weit entfernten Strand, den fast nur Einheimische besuchten. Mia blieb schmollend im Hotel. Einzig der Name Keloglan war es gewesen, der sie hergelockt hatte; irgendwo hinter den Hügeln mußte das Kaff liegen, aus dem ihr Vater stammte, der Türke, der verdammte, der Betrüger, der sich irgendwo in Istanbul ein schönes Leben machte, mit Frau und Kindern, von denen er nie etwas erzählt hatte. Sie hatte lange auf die Karte gestarrt und sich nie getraut, dort hinzufahren.
    Mias Handy leuchtete und zuckte auf dem Gartentisch. Als sie danach griff, stieß sie beinahe das Glas und die Flasche herunter. Georgs Gutenachtgruß war durchsetzt mit italienischen Scherzchen, für die sie ein Wörterbuch gebraucht hätte und die sie deshalb ignorierte. Sie hatten sich das Telefonieren hier oben abgewöhnt. Es war beschämend, auf der Terrasse zu stehen, zu schreien und von einer Ecke in die andere zu laufen, um dem besten Empfang nachzujagen, während vor ihr die Berge in schauerlicher Massigkeit emporwuchsen, als stellten sie sich Georgs Stimme absichtlich in den Weg. Rasch tippte sie eine Antwort: »Waren auf der Almwiese (dein toller Tip). Im Bach gebadet (eiskalt). Ziegen gesehen. Jungs begeistert. Alles voller Sterne. I long for you. M.« Sie versandte die Botschaft und wartete, bis das blaue Licht auf dem Display erlosch. Das dämliche Englisch am Schluß hatte sie nur eingefügt, um sich einen Hauch von Weltläufigkeit zu geben. Wahrscheinlich wäre es nicht nötig gewesen. Georg war kein Besserwisser, auch nicht fordernd. Er wußte viel, er erzählte gern davon, mehr nicht. Sie hatte den Eindruck, er genoß es, mit ihr zusammenzusein, und war froh, daß sie und die Jungs jetzt hier in Trarego saßen und auch, daß er sie – alle drei – wieder abholen und zu sich nach Hause mitnehmen konnte. Ihre wenigen Möbel standen in Georgs Keller in der Stuttgarter Bismarckstraße. Sie würde nichts davon brauchen. Seine große Altbauwohnung wirkte wie Aladins Schatzhöhle, golden, purpurrot und vollständig verdüstert von geschnitzten Schränken, riesigen Porzellanvasen und Orientteppichen, die an den Wänden hingen und den Boden bedeckten. Georg war ein Sammler, doch schien ihm die Jagd, das Telefonieren, das Steigern auf Auktionen, Feilschen mit Antiquitätenhändlern und Flohmarkthaien wichtiger zu sein als die Gegenstände selbst, die nach ein paar Tagen der Bewunderung im Wust verschwanden. Ihr Umzug war seine Idee gewesen. »Es ist doch genug Platz, ihr braucht nichts mitzubringen, höchstens für die Kinder. Mich stört das nicht. Wir räumen hier ein bißchen zusammen. Was euch nicht gefällt, stellen wir in den Keller. Ein paar Sachen wollte ich ohnehin verkaufen. Das wäre wenigstens ein Anlaß, sich mal darum zu kümmern.«
    Mia sah in den Nachthimmel. Scharf und hell standen die Sterne in der Schwärze über ihr. Sie fing gar nicht erst an, Linien zwischen den leuchtenden Punkten zu ziehen, um der Übermacht dieser Menge vertraute Bilder entgegenzusetzen, legte ihren Kopf auf die eiserne Tischplatte, die noch warm war von der Tageshitze, hörte das unermüdliche Schaben der Grillen und wünschte sich, nichts mehr denken und nichts mehr fühlen zu müssen.
    Bevor Georg zurück nach Stuttgart gefahren war, hatten sie hier draußen gevögelt, auf der Wiese unter dem Apfelbaum. Mia fand es zuerst albern, sie tat es lieber im Bett bei geschlossener Tür. Es hatte zu viele unbequeme und aufgestörte Erlebnisse im Freien gegeben, in den Höfen in der Geislinger Straße oder auf dem weitläufigen Großmarktgelände am Neckarufer. Aber Georgs Erregung war schließlich auf sie übergesprungen. Sie hatte in sein begeistertes Lachen eingestimmt, als er ihr Kleid aufknöpfte und es in das Gebüsch schleuderte. Von der Küche war eine Lichtbahn in den Garten gefallen, in der Nachtfalter tanzten. Gräser kitzelten Mias Rücken, der herbe Mostgeruch eines heruntergefallenen Apfels stieg ihr in die Nase. Sie behielt die Augen offen, um Georgs Gesicht, seinen breiten Brustkorb über ihr, das dunkle Laub der Baumkrone im Blick zu haben. Selbst auf dieser südlichen Wiese war ihr Peters Körper noch gegenwärtig. Sie dachte daran, wie er sie zum letzten Mal umarmt hatte. Auch das war im Freien gewesen, im Schloßgarten, unter einem Baumriesen.
    Sie schüttelte sich, um diese Gedanken loszuwerden, und versuchte, sich die Nacht mit Georg vorzustellen. Vom Nachbargrundstück war das Dröhnen

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