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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Staubmäuse schwebten in den Ecken, und das Parkett zeigte honiggelbe und dunkelbraune Tönungen, je nachdem, ob dort Möbel gestanden hatten oder nicht. Die Sofa-Frau war in großer Unruhe durch die Zimmer gehuscht, hatte in ihrer Handtasche gewühlt und war dann verschwunden: »Ich muß kurz weg, die Fenster nicht vergessen!«
    Die Mutter hatte lange gearbeitet, viele Eimer schwarzes Wasser in die Toilette geschüttet. Sie putzte die Fenster, wusch die Türen, sie fegte die Stuckdecken mit dem Besen ab, war blaßrot und schnaufte. Mia wußte noch, daß sie in der dämmrigen Küche auf Klappstühlen saßen, die die Mutter vom Balkon hereingeholt hatte, daß sie Leitungswasser tranken und warteten. Die Frau war nicht wiedergekommen. Die Mutter regte sich in ihrer triefenden Erschöpfung. Sechs Stunden hatte sie geputzt. War es wirklich so lange gewesen? Was hatte Mia gemacht, sechs Stunden in einer leeren Wohnung? Sechs Stunden, das waren sechzig Mark. Die Mutter erhob sich schwer und kümmerte sich nicht darum, daß der Klappstuhl umkippte, auf den Fußboden schlug. Sie ging durch alle Räume, überraschend schnell, der Boden zitterte unter ihren Schritten. Sie lief ins Treppenhaus. Mia hörte, wie sie unten bei der Nachbarin klingelte. »Das weiß ich nicht. Ich kann keine Auskunft geben.«
    Die Mutter kam zurück und riß den Kühlschrank auf. Sie fluchte: »Tot umfallen soll sie, die Sau, die Krott, die Fudd!« Schreiend stand sie vor dem offenen Kühlschrank, fegte eine Tube Senf, ein halbvolles Marmeladenglas, ein paar Kartoffeln in ihre weitgeöffnete Tasche. Die Katzengesichter wurden ausgebeult. Sie rannte in die Toilette, steckte Putzmittelflaschen ein und ein nasses Handtuch, trat im Flur gegen einen Pappkarton. Zerknülltes Zeitungspapier verteilte sich raschelnd auf dem Parkett. Mia lief ihr hinterher wie ein kleiner Hund und beobachtete jede Bewegung. Im Bad öffnete die Mutter erst die großen Spiegelschränke über dem Waschbecken und schnalzte ärgerlich mit der Zunge, als sie in die sauber ausgewischte Leere blickte. Vor der Badewanne streckte sie die Hand aus und nahm ein hellblaues Seifenstück aus der gemauerten Schale. Doch anstatt es in die Tasche zu stecken, ließ sie es einfach fallen. Mit einem dumpfen Ton schlug es auf der glänzenden Emaille auf. Wieder griff die Mutter in die Schale. Zwischen ihren Fingern schwangen die breiten Goldbänder einer Kette. Das weiße blicklose Auge einer Perle saß in seinem schimmernden Behältnis. Sie bückte sich hastig und legte die Seife zurück an ihren Platz. Die Kette stopfte sie vorne in ihren Kittel.
    Die Mutter schob Mia zurück in die Küche und füllte ein großes Glas bis zum Rand mit Wasser. »Trink das aus.« Sie führte Mia ins Wohnzimmer, unter das Fenster mit dem runden Bogen. Im Schein der Straßenlaternen standen die Altbauten wie fremdartige Paläste. Die Mutter befahl Mia, den Rock zu heben. »Sonst mußt du doch immer. In der Bahn gibt’s kein Klo.« Mit ihren Straßenschuhen trat erst die Mutter in die Lache, dann Mia. Gemeinsam liefen sie durch alle Räume.
    Die Kette wurde in einem leeren Cremedöschen auf Watte gebettet. Mia bekam sie zum Abitur. Die Mutter wollte nicht mehr auf diesen Tag angesprochen werden. Sie sagte, sie könne sich nicht erinnern. »Ich hab immer nur bei anständigen Leuten geputzt.«
    Mia hockte auf Georgs Bett in Trarego und fuhr mit der flachen Hand über das Rankenmuster der Tagesdecke. Sie hatte die Lampe angeknipst. Auf dem Nachttisch lag ein Bilderbuch. Hauffs Märchen. Zwei elegante Störche rahmten eine dicke Eule ein. Dahinter erhob sich die Silhouette einer morgenländischen Stadt. Mia mußte den Kindern jeden Abend daraus vorlesen. Das Buch kam aus dem Etzelweg, Ivo und Jörn hatten es selbst eingepackt. Sie schlug es auf. Auf der Innenseite des Pappeinbands stand in mühsamen Druckbuchstaben: Peter Rau, Am Schwarzen Berg 12, Stuttgart-Burghalde. Und darunter, in schnörkeligen Tintenschlaufen: »Für das Peterle von seinem Emil, im Sommer 1979.«
    Mia hatte mit Peter auf seinem Futon gelegen, zwischen ihnen stand ein Teller mit Weintrauben. Sie erinnerte sich an die glatte Schale der Beeren, die sie mit der Zunge am Gaumen zerdrückt hatte, an die stoffbespannten Wände des Zimmers, sein unwirkliches buntes Licht und die Wärme von Peters Brust, an die sie sich geschmiegt hatte wie an eine besonnte Sanddüne. Von Anfang an hatte er ihr im Bett Märchen erzählt, angespornt davon, daß sie als

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