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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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hatte die Küche aufgeräumt und heißes Wasser in die Pfanne laufen lassen. Sie benutzte einen scharfen Reiniger. Es befriedigte sie, wie Peter die Augenbrauen zusammenzog, als er den stark nach Putzmittel riechenden Raum betrat.
    Alle ihre Argumente hatte er mit einem Lächeln, diesem verdammten ruhigen Lächeln, vom Tisch gewischt. Das sei nicht wichtig. Sie kämen doch zurecht. Er wolle nicht noch mehr Zeit in Evas Klitsche verbringen. Seit die Kinder da seien, spüre er noch stärker, wie kurz sein Leben sei. Und auch ihres. Das wolle er nicht verballern, um Krankenkassenleistungen zu erbringen. Jörn habe heute zum ersten Mal einen Witz erzählt. Er stand auf und breitete die Arme aus, in dieser selbstgewissen Messias-Haltung. Sie hätte ihn am liebsten geschlagen. Er sprach weiter und lächelte dabei immer noch. »Wäre ich in der Praxis gewesen, hätte ich vielleicht gehört, wie ein fremdes Kind sein erstes sauberes ›s‹ gesprochen hätte. Natürlich ist das ein Erfolg, aber will ich das? Ich will lieber Ivo und Jörn begleiten. Wie lange sind sie noch so klein? Was bekomme ich für die Zeit, die ich bei Eva lasse?«
    Mia war in den Flur gerannt und hatte die leere Eisdose vom Boden aufgehoben. Sie spürte das glatte Plastik fast schleimig zwischen ihren Fingern, als sie den Deckel abriß und Peter den Behälter hinhielt. Verständnislos starrte er auf die abgenagten Brotrinden am Boden der Dose und auf Mia, die schrie: »Was du bekommst? Geld bekommst du! Geld! Geld, das dringend nötig ist, damit deine Kinder nicht so etwas als Vesperdose benutzen müssen! Damit sie hier rauskommen, aus diesem Dreckloch! Schau dich doch mal um! Wie lange sind wir jetzt hier? Du hast alles gehabt, alle Chancen, und sie, sie sollen nichts kriegen!« Peter hatte sie verdutzt angeschaut und erneut den Kopf geschüttelt. »Du findest immer nur Dinge wichtig. Dinge zu haben. Das spielt für die Jungs keine Rolle. Und für mich auch nicht.«
    Auf Georgs antikem Eisenbett faßte sich Mia an den Hals und griff nach der breiten Goldkette, die kühl durch ihre Finger lief. Die Perle schimmerte in der gehämmerten Schale des Anhängers, umkränzt von Brillanten. Das Gold leuchtete warm. An der Schließe trug es einen Stempel. Für die Beisetzung der Mutter hatte Mia das Schmuckstück zur städtischen Pfandleihe in der Gerberstraße getragen. Für seine Auslösung hatte sie die halben Semesterferien durchgekellnert.
    Die Kette stammte aus einer Altbauwohnung in der Sonnenbergstraße. Mia erinnerte sich daran, daß die Mutter und sie erst wenige Male dort gewesen waren und daß die Bewohnerin im Gegensatz zu den anderen Damen während des Putzens fast immer zu Hause blieb. Sie nahm keine Notiz von der Mutter, die mit Staubsauger und Schrubber um sie herumfuhrwerkte, und beachtete auch Mia kaum. Die saß eingeschüchtert auf einem Schemel in der Diele und sah durch mehrere ineinander übergehende Zimmer bis zu einem roten Sofa vor einem rundbogigen Fenster. Meistens lag die Frau mit angezogenen Knien darauf. Ein Arm hing schlaff herab, sie blickte nicht auf, abgetaucht in das Buch, das gegen ihre Oberschenkel lehnte, und bewegte nur leicht die Hand, um die Seiten umzublättern. Der Duft ihres Parfüms zog zu Mia hinaus und mischte sich mit dem Aroma aus der Kaffeetasse, die vor ihr auf einem Tischchen stand. Das Kind hatte nicht gewagt zu fragen, was die Frau da eigentlich tat, sondern sich nur über ihre vollständige Versunkenheit gewundert. Später war die Lesende auf dem Sofa für Mia zum Bild einer geglückten Existenz geworden. In den ersten Jahren im Etzelweg fühlte sie tiefe Zufriedenheit, wenn sie Peter mit einem Buch auf der Couch liegen sah. Ich habe es geschafft, dachte sie. Nach und nach hatten ihre Gefühle für den stillen Lesenden sich gewandelt: er war ein naiver Trödler, den sie am liebsten aufgescheucht und gejagt hätte, damit er irgend etwas tat, für seine Kinder, für sie alle.
    Im Sommer vor Mias Einschulung war die Wohnung mit dem roten Sofa zum Umzug vorbereitet gewesen. Die Möbel hatte man bereits ausgeräumt. Mia war erschrocken darüber, wie kahl dieser anheimelnde Ort jetzt wirkte. Vertraute Dinge, an denen ihr Blick sonst hängenblieb, waren verschwunden: der lange bunte Teppich im Entree, von dem sie heute sagen konnte, daß es ein antiker Shiraz war. Die Ölgemälde, die Bücherregale, deren Umrisse noch grau auf den Wänden zu sehen waren. Jeder Schritt hallte durch die weiten, leeren Räume.

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