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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Kind nie vorgelesen bekommen hatte. Sie lag mit geschlossenen Augen an seiner Seite, hörte das langsame Klopfen seines Herzens und seine Stimme. Hauffs ›Kalif Storch‹ war das erste gewesen, Grimm, Andersen und Tieck folgten. Später las Mia nach und stellte fest, daß Peter die Texte fast vollständig auswendig konnte, aber an allen möglichen Stellen verspielt abgewandelt hatte. So beschrieb er eingehend die lustvolle Vereinigung der Eule mit dem Storch und freute sich über Mias erstaunte Ausrufe und ihr Lachen. Sie hatte sich vorgestellt, wie er den Kindern vorlas, die sie zusammen haben würden. Eine nie gekannte Sorglosigkeit war bei ihr eingezogen. Peter kochte für sie, führte sie zum ersten Mal über einen Wochenmarkt, vorbei an den bunten Ständen voller Früchte und Gemüse, und er hatte Mia zugehört, als sie ihm von den Köstlichkeiten aus der Geislinger Straße erzählte: Spätzle (die von Aldi) mit Soß, Jägersoße aus der Tüte mit winzigen Pilzstückchen darin. Mia hatte sie abgelutscht, an den Tellerrand gelegt und gezählt, den kalten Papp am Schluß mit dem Löffel zusammengekratzt, den vollen Pilzgeschmack. Tütenkartoffelbrei, in kochende H-Milch gerührt, reingeschnittene Saiten, Wasser drauf, das war Kartoffelsuppe. Ein Päckchen Jagdwurst, weiße Knorpelstücke neben den gelben Eiterpusteln der Senfkörner. Die Mutter pellte den ganzen Stapel, 100 oder 150 Gramm, aus dem fettigen Plastikrund und würfelte ihn in die heiße Pfanne, goß Wasser hinein, stäubte Mehl darüber, ganz locker, daß es nicht klumpen konnte, dazu eine halbe Flasche Ketchup, gut umrühren. Die rötlichbraune, blubbernde Masse sah nicht aus wie menschliche Nahrung. Die Mutter schüttete das Gemisch über die gekochten Nudeln und füllte es in die tiefen blauen Teller. Schweigend aßen sie, bis die Pfanne leer war.
    Mit einem Knall schloß Mia das Bilderbuch. Am Tag von Georgs Abfahrt nach Stuttgart hatte er sie bei den Schultern genommen, ihr Kinn mit dem Finger hochgehoben, eine Geste, der sein Lächeln alles Schulmeisterliche nahm. »Hast du ihm endlich gesagt, wo ihr seid?« Der Volvo stand mit offenem Kofferraum unter dem Feigenbaum am oberen Ausgang der ›Casa Cornelia‹. Georgs Reisetasche und ein Haufen Tennisschläger lagen darin. Sie hatte den Kopf geschüttelt. Georg ließ sie los und trat einen Schritt zurück. Er sprach gedämpft. Unten im Garten spielten Ivo und Jörn Federball. »Mia, das geht nicht. Peter wird verrückt, wenn er nicht weiß, was mit seinen Kindern ist. Was meinst du, wie ich mich damals über Gisela geärgert habe. Mehr als Ärger, Haß kommt schon eher hin. Einmal hat sie Willi in den Ferien abgeholt und ist mit ihm nach Korsika gefahren. Eine Woche haben sie sich nicht bei mir gemeldet. Ich war völlig neben mir.« Mia war wütend geworden. Sie hatte die Achseln gezuckt und sich abgewandt, aber Georg war ihr nachgegangen. »Du weißt schon, daß sie auf ihn warten? Wenn sie ins Dorf gehen, laufen sie zur Kirche und stellen sich auf die Mauer. Spähen ins Tal wie die Sperber. Ich hab sie gefragt, nach wem sie Ausschau halten. Ivo wollte nichts sagen, hat die Lippen zusammengepreßt und sauer geschaut, aber der Kleine schien richtig froh, daß er es loswerden konnte. ›Wir warten auf unseren Papa, der war noch nie ohne uns im Urlaub.‹ Ich habe keine Ahnung, was du ihnen erzählt hast, aber ich sage dir, es ist nicht gut. Es hat zwei Leute gebraucht, um sie zu machen, und es braucht auch zwei Leute, um sie großzukriegen. Sei anständig, egal, wie sehr du ihn verachtest.« Mia hatte Georg keinen Abschiedskuß gegeben. Der anständige Ritter Georg mit der Lanze. Sie war der Drachen, Peter die verfolgte Unschuld. Wie lange waren sie jetzt weg? Bismarckstraße, Trarego, bald zwei Monate. Sie stand auf und begann, sich auszuziehen, warf das Kleid über den Stuhl vor dem Schreibtisch. Wo Peter wohl jetzt war? Vielleicht bei seinen Eltern. Carla hatte inzwischen schon einige Wochenenden ohne ihre Enkel verbracht. Saß am Schwarzen Berg in ihrem Eigenheim, wahrscheinlich auf Unmengen von Zwetschgen und Äpfeln, die jetzt keiner aß. Wenn die Jungs kamen, legte sie sich mächtig ins Zeug. Vielleicht wußten sie und Hajo noch gar nichts von der ganzen Geschichte. Zu Ivos Geburt hatte Mia ein Paar Perlenohrringe von Peters Eltern bekommen, bei Jörn einen Ring: »Passend zu deinem schönen Anhänger.«
    Mia schob den Stuhl zurecht und setzte sich an den Schreibtisch. Unten in Cannobio gab

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