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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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in einem fernen Krieg zu kämpfen.
    »Wir haben uns gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kennengelernt«, begann sie, eine Geschichte wiederholend, die ich schon viele Male gehört hatte. »Mein Vater hat ihm eine Anstellung in seiner Textilfabrik gegeben, und Martin hat sich sehr schnell hochgearbeitet. Er war so gescheit und ehrgeizig, er hätte es weit gebracht, auch wenn er nicht die Tochter des Chefs geheiratet hätte.« Ihr Blick trübte sich plötzlich. »Aber dann hat mein Vater die Firma verloren, und meine Eltern mußten ihr Haus verkaufen, und meine Mutter hat ihm das nie verziehen. Erinnerst du dich an deine Großmutter?« fragte sie.
    Das Bild einer korpulenten alten Frau mit Haaren wie Stroh und dicken Beinen blitzte vor mir auf. »Vage«, antwortete ich. Ich war erst fünf Jahre alt gewesen, als sie gestorben war.
    »Deine Großmutter war eine sehr starke Frau. Bei ihr gab es keine Zwischentöne, sondern nur Schwarz und Weiß. Nur Recht oder Unrecht. Wie man sich bettet, so liegt man, sagte sie immer.«
    »Das kann für dich nicht leicht gewesen sein.« Ich hörte die Therapeutin in meiner Antwort.
    »Wir haben gelernt, es zu akzeptieren. Wenn man einen Fehler machte, mußte man die Konsequenzen tragen. Man konnte nicht einfach seine Sachen packen und davonlaufen.«
    »Ist das der Grund, warum du bei meinem Stiefvater geblieben bist, obwohl er dich immer wieder geschlagen hat?« Ich wußte, daß die Frage so einfach nicht zu beantworten war, aber ich stellte sie dennoch.
    »Dein Vater hat mich nie geschlagen«, antwortete sie.
    »Mein Stiefvater«, wiederholte ich.
    »Dein Vater war ein wunderbarer Mensch. Er war Vorarbeiter in der Textilfabrik meines Vaters, bis mein Vater die Firma aufgeben mußte. Danach hat er sich eine Stellung bei General Motors gesucht. Da hat er tagsüber gearbeitet und abends hat er studiert.
Jura. Er wollte immer Anwalt werden. Ist das nicht interessant? Wir hatten vorher noch nie einen Juristen in der Familie. Aber er ist gestorben, ehe er mit dem Studium fertig war.« Sie sah mit einem traurigen Lächeln zu der Sprechstundenhilfe hinüber.
    »Es wird nicht mehr allzu lange dauern«, sagte Becky Sokoloff automatisch.
    »Wir waren gerade mit dem Abendessen fertig«, fuhr meine Mutter fort, und ich sah die Szene in Gedanken vor mir. »Du warst in deinem Zimmer und hast dich ausgezogen, um ins Bett zu gehen. Dein Vater und ich haben noch am Eßtisch gesessen und in aller Ruhe unseren Nachtisch gegessen. Es kam so selten vor, weißt du, daß wir einen ganzen Abend miteinander verbringen konnten, deshalb haben wir uns viel Zeit gelassen. Wir haben einfach nur miteinander geredet und gelacht. Und dann ist dein Vater aufgestanden, um sich ein Glas Milch zu holen, und plötzlich sagte er, er bekäme auf einmal höllische Kopfschmerzen. Das waren seine genauen Worte, ›Ich bekomme auf einmal höllische Kopfschmerzen‹. Ich erinnere mich wie heute daran. Der Moment ist mir wie eingebrannt. Ich wollte gerade sagen, er solle ein Aspirin nehmen, obwohl er normalerweise nie Tabletten nahm, aber ich kam nicht mehr dazu. Er stand auf, machte zwei Schritte und brach zusammen.«
    Ich sagte nichts, beobachtete sie nur schweigend, während sich in ihren Augen lang vergangene Gefühle spiegelten.
    »Und weißt du, was ich getan habe?« fragte sie und sagte, ohne meine Antwort abzuwarten: »Ich habe gelacht.«
    »Gelacht?«
    »Ich dachte, es wäre ein Scherz. Sogar nachdem ich den Krankenwagen angerufen hatte, sogar auf der Fahrt zum Krankenhaus habe ich dauernd erwartet, daß er plötzlich die Augen aufmacht. Aber er hat es nicht getan. Der Arzt hat mir später gesagt, daß er schon tot war, ehe er den Boden berührte.«
    Ich nahm sie in den Arm und drückte sie, spürte ihre Knochen unter der weichen Baumwolle ihres blauen Kleides. Wann war sie so dünn und gebrechlich geworden? Und wie lange noch, ehe
diese Erinnerungen, die jetzt noch so lebendig waren, verblassen und schließlich ganz verschwinden würden?
    Die Vergangenheit wird also einfach ausgelöscht? Hatte Jo Lynn am Tag vor Weihnachten gefragt, als wir zusammen zu Mittag gegessen hatten. Sie wird sich nicht daran erinnern, also kann ich auch gleich so tun, als wäre es nie geschehen.
    So tun, als wäre was nie geschehen?
    Sie kommt ungeschoren davon.
    Womit? fragte ich mich, wie ich mich das seit jenem Nachmittag immer wieder gefragt hatte.
    »Mama«, begann ich.
    »Ja, Kind.«
    »Kann ich dich mal was fragen?«
    »Du kannst mich alles

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