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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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fragen, Kind.«
    Ich hielt inne, unsicher, wie ich die Frage formulieren sollte. Schließlich sagte ich mir, daß der direkte Weg wahrscheinlich der beste sei. »Was ist eigentlich zwischen dir und Jo Lynn geschehen?«
    »Jo Lynn ist etwas geschehen?« Ihr Blick war augenblicklich voller Besorgnis.
    »Nein, nein, es geht ihr gut.«
    »Oh, da bin ich aber beruhigt.«
    »Ich meine, was ist früher zwischen euch beiden gewesen?«
    »Ich verstehe nicht.« Der Blick meiner Mutter wurde unruhig, flog nervös durch den Raum.
    »Ihr beide seid doch nie gut miteinander zurechtgekommen«, begann ich von neuem.
    »Sie war immer ein eigensinniges kleines Ding. Sie hat sich einfach nichts sagen lassen.«
    »Erzähl mir ein bißchen von ihr.«
    »Oh, wenn ich da einmal anfange!« Meine Mutter lachte. Die Furcht in ihren Augen verschwand so schnell, wie sie gekommen war.
    »Sie ist mit Kaiserschnitt zur Welt gekommen«, drängte ich vorsichtig.

    »Ja, das stimmt«, sagte meine Mutter. »Mir ging es ziemlich schlecht nach ihrer Geburt, weil ich auf das Pflaster, mit dem sie mir den Bauch verklebt hatten, allergisch reagierte.«
    »Und sie war eigensinnig und ließ sich nie etwas sagen …«
    »O ja, sie hatte ihren eigenen Kopf, das steht fest. Meinst du wohl, ich hätte sie dazu bewegen können, ein Kleid anzuziehen? Immer wieder hab ich ihr diese hübschen gesmokten Kleidchen gekauft, die du immer so gern hattest, aber sie hat sie sofort wieder ausgezogen und wollte partout nichts davon wissen. Nein, sie wollte nur Hosen tragen. Gott, war sie schwierig. Ganz anders als du. Du warst so ein braves Kind. Du warst glücklich mit deinen kleinen Kleidchen, aber Jo Lynn hat sie gehaßt. Nein, sie hatte in der Familie die Hosen an.« Wieder lachte sie. »Das hat dein Vater jedenfalls immer gesagt.«
    »Mein Stiefvater«, korrigierte ich.
    »Bei ihm konnte Jo Lynn tun, was sie wollte, er fand es immer richtig. Er hat ihr alles durchgehen lassen. Jeden Wunsch hat er ihr erfüllt, ganz gleich, wie verrückt er war. Er hat sie schrecklich verwöhnt. Und wenn es Streit gab, hat er immer ihre Partei ergriffen.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie hat mir nie verziehen, daß ich ihn verlassen habe. Ich weiß, daß sie mir an seinem Tod die Schuld gibt.«
    »Er ist an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben. Wie kann sie dir daran die Schuld geben?«
    »Sie gibt mir an allem die Schuld.«
    Ich warf einen Blick auf die Sprechstundenhilfe, dann auf die beiden Frauen, die auf den Stühlen uns gegenüber saßen. »Woran gibt sie dir denn noch die Schuld?« fragte ich.
    Meine Mutter lächelte und sagte nichts. Ihr Blick wanderte hinunter zu den barbusigen Frauen auf dem Titelblatt der Elle. »Ach, du lieber Gott«, sagte sie.
     
    »Was hat sie gesagt?« kreischte Jo Lynn später am Nachmittag ins Telefon.
    »Sie hat gesagt, daß du ihr die Schuld an seinem Tod gibst.«

    »Natürlich, das ist typisch.«
    »Und – gibst du ihr die Schuld daran?«
    »Er ist an Krebs gestorben.«
    »Darum geht’s doch nicht.«
    »Ach, dieses ganze Gespräch ist doch blödsinnig. Was hat die Ärztin gesagt?«
    »Nicht viel. Sie macht erst mal eine Reihe von Untersuchungen. Anscheinend gehört Alzheimer zu den Krankheiten, die vor allem auf dem Weg der Eliminierung festgestellt werden.«
    »Was für Untersuchungen?«
    »EKG, CT, Mammographie und so weiter.«
    »Mammographie? Wieso das?«
    »Dr. Caffery ist der Meinung, wir sollten einmal alles komplett durchchecken. Mir hat sie auch einen Termin gegeben«, fügte ich hinzu.
    »Dir? Warum das? Fühlst du dich nicht wohl?«
    »Sie meint, daß bei mir das Klimakterium anfängt«, gestand ich.
    »Was?«
    »Das ist doch nichts Besonderes«, log ich.
    »Also, fährst du kommendes Wochenende mit nach Starke?« fragte sie mit trügerischer Beiläufigkeit, so als hätten wir das Thema schon eine ganze Weile besprochen und wollten es jetzt nur noch zum Abschluß bringen.
    »Soll das ein Witz sein?« antwortete ich.
    »Ich dachte, du würdest es vielleicht interessant finden.«
    »Keine Chance.« Unangenehmes Schweigen. »Aber du könntest mir einen Gefallen tun«, sagte ich, mich selbst überraschend.
    Sie wartete, ohne etwas zu sagen. Dennoch glaubte ich fast, ihre Spannung zu spüren.
    »Du könntest deinen Freund fragen, was er mit Rita Ketchum angestellt hat.«
    Wieder trat eine Pause ein. »Weißt du was?« sagte Jo Lynn schließlich kalt und schneidend. »Wenn du von meinem Verlobten etwas wissen willst, dann frag ihn doch

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