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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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sagte sie leise. »Es ist zu spät.«
    »Unsinn, es ist nie zu spät«, widersprach ich, obwohl ich wußte, daß das nicht stimmte. »Wenn wir wieder zu Hause sind, können wir uns doch auf jeden Fall mal erkundigen, welche Voraussetzungen du erfüllen müßtest und was das Studium kosten würde. Larry und ich könnten dir das Geld leihen. Und du zahlst es uns zurück, sobald du die dicken Honorare kassierst.« Die dicken Honorare? fragte ich mich, wohl wissend, daß ich mich aus dem Reich der Vernunft in Phantasieregionen begeben hatte.
    »Oh, ich wette, Mama würde mir das Geld geben«, sagte Jo Lynn zu meiner Verwunderung. Ich hatte ihr versprechen müssen, auf der Fahrt nicht über unsere Mutter zu reden, und hatte widerstrebend eingewilligt. Jetzt hatte sie selbst das verbotene Thema angeschnitten. Hieß das, daß sie eine Tür öffnen und mir den Eintritt gestatten wollte?
    »Ja, das würde sie sicher mit Freuden tun.«
    »Sie schuldet mir einiges«, sagte Jo Lynn. »Oh, da ist eine Tankstelle.« Schnell wechselte sie die Spur und fuhr vom Highway ab.
    An der hell erleuchteten Raststätte gab es eine Tankstelle und ein Burger King. »Ich tank schon mal voll, wenn du uns inzwischen was zu essen holst«, sagte Jo Lynn, als wir beide die Türen öffneten und ausstiegen.
    Ich dehnte und streckte mich. »Oh, das tut gut.«
    »Du blöder Idiot«, kreischte eine Frauenstimme, und im ersten Moment glaubte ich, es sei Jo Lynn und die Beleidigung sei an mich gerichtet. Aber als ich über das Wagendach zu Jo Lynn hinübersah, bemerkte ich, daß ihre Aufmerksamkeit auf ein junges
Pärchen gerichtet war, das im nächsten Gang stand, neben einem blauen Firebird.
    Das Mädchen war höchstens sechzehn, der Junge auch nicht viel älter. Beide waren blaß, blond und erschreckend mager, wenn auch der Junge Arme wie ein Gewichtheber hatte. Sein Gesicht war rot vor Zorn; die Hände waren zu Fäusten geballt. »Wer ist ein Idiot?« fragte er wütend.
    »Was glaubst du wohl?« schrie das Mädchen herausfordernd, mutig geworden vielleicht durch die Anwesenheit der umstehenden Leute, die den Streit beobachteten.
    »Mir reicht’s jetzt mit dem Scheiß«, sagte der Junge und öffnete die Wagentür. »Los, steig endlich ein, verdammt noch mal. Wir fahren.«
    »Nein.«
    »Soll ich dich hierlassen? Bitte schön. Das kannst du haben. Wenn du jetzt nicht sofort einsteigst, hau ich ab, und du kannst sehen, wie du weiterkommst.«
    Ich überlegte gerade, ob ich nicht irgend etwas tun oder sagen könnte, um die Situation zu entschärfen, als meine Schwester hinter mich trat und mir ins Ohr flüsterte: »Halt dich da raus.«
    »Vielleicht sollten wir die Polizei rufen«, sagte ich mit einem Blick auf die Arme des jungen Mädchens, die von blauen Flecken übersät waren.
    »Vielleicht sollten wir uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern«, entgegnete sie und wies mit dem Kopf zu dem Burger King Imbiß. »Ich nehm einen Cheeseburger, eine große Portion Pommes und eine große Cola.«
    Ich ging in die Toilette, wusch mir die Hände, starrte im Spiegel mein müdes Gesicht an, die hängenden Tränensäcke unter meinen Augen. »Wie ein altes Weib«, flüsterte ich.
    An der Burger King Ausgabe war eine Schlange, und ich mußte fast zehn Minuten warten, ehe ich bekam, was ich bestellt hatte.
    »Wo bist du so lang gewesen?« fragte Jo Lynn, als ich ihr den Cheeseburger, die Pommes und das Cola reichte. Sie stieg auf der Beifahrerseite ein, während ich um das Auto herum zur Fahrerseite
ging. Wenn ich die dünnen Strähnen aschblonden Haars hinten im Wagen bemerkte, so weigerte sich mein Bewußtsein, die flüchtige Beobachtung zur Kenntnis zu nehmen.
    »Wo ist dein Essen?« fragte Jo Lynn, als ich losfuhr und sie ihren Cheeseburger auspackte.
    »Ich hab mir nichts mitgenommen.«
    »Möchtest du was?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich hab keinen großen Hunger.«
    »Ich hab nicht dich gemeint«, sagte sie, und ich schrie auf, als von hinten eine magere Hand über die Rückenlehne schoß.
    Mit einem Ruck drehte ich mich herum. Das junge Mädchen mit den Armen voller blauer Flecken starrte mich mit großen blaßgrünen Augen ängstlich an.
    »Mensch, paß doch auf, wohin du fährst!« rief Jo Lynn. »Willst du uns vielleicht umbringen?«
    Ich umfaßte das Lenkrad fest mit beiden Händen, weniger aus Gründen der Sicherheit als aus Gründen der Selbstbeherrschung. Am liebsten hätte ich meiner Schwester eine Ohrfeige gegeben. Hatte sie mir nicht eben

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