Am Seidenen Faden
Lynn hoffnungsfroh.
Ich schluckte, sah weg, hätte am liebsten losgeheult. Das kann doch nicht ihr Ernst sein, dachte ich, obwohl ich wußte, daß es sehr wohl ihr Ernst war. »Ich glaube nicht, daß das gut wäre.«
»Lassen Sie sich einfach ein bißchen Zeit zum Überlegen«, riet Colin. Sein Blick durchbohrte mich fast. »Wir wären Ihnen jedenfalls dankbar für Ihre Unterstützung.«
»Ich wäre jedenfalls dankbar, wenn ich wüßte, was Amy Lokash zugestoßen ist«, entgegnete ich, nicht nur meine Schwester und ihren sogenannten Verlobten schockierend, sondern ebenso sehr mich selbst. Ich hatte vorgehabt, ihn nach Rita Ketchum zu fragen, nicht nach Amy. Mein Unbewußtes hatte offensichtlich andere Pläne.
»Amy L-Lokash?« Zum erstenmal an diesem Tag stotterte Colin.
Jo Lynn verdrehte angewidert die Augen. »Was soll der Quatsch, Kate. Wer zum Teufel ist Amy Lokash?«
»Sie ist ein siebzehnjähriges Mädchen, das vor ungefähr einem Jahr verschwunden ist. Ich dachte, Sie wüßten vielleicht etwas darüber.«
»Das ist ja lächerlich«, wütete meine Schwester. »Colin, du brauchst ihre blöden Fragen nicht zu beantworten.« Im nächsten Moment war Jo Lynn aufgesprungen und auf dem Weg zur Toilette. Im Gehen zog sie ihren Rock über ihr Gesäß herunter.
»Ist das nicht das Appetitlichste, was man je gesehen hat?« meinte Colin, Jo Lynn mit Blicken folgend.
»Warum lassen Sie meine Schwester nicht einfach in Frieden.«
»Sagen Sie ›bitte‹«, versetzte er lässig.
»Was?« Vielleicht hatte ich ihn nicht richtig verstanden.
Er wandte sich mir zu. »Sie haben mich genau gehört. Sagen Sie ›bitte‹.« Ein höhnisches Lächeln spielte um seine Lippen. »Oder besser noch, ›bitte, bitte‹.«
Ich sagte nichts.
»Wenn Sie wollen, daß ich Ihre Schwester in Frieden lasse, müssen Sie was dafür tun. Also, sagen Sie ›bitte, bitte‹. Na los, sagen Sie’s schon.«
»Sie können mich mal«, sagte ich statt dessen.
Er lachte und fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe. »Vielleicht irgendwann mal.«
Mir wurde eiskalt, und meine früheren Alpträume fielen mir wieder ein. Mein Herz hämmerte wie wild, sein rasender Schlag pulsierte so laut in meinen Ohren, daß ich kaum den Klang meiner eigenen Stimme hören konnte. »Das alles ist für Sie doch nur ein krankes Spiel, stimmt’s?«
»Ich mache keine Spielchen. Ich geh immer aufs Ganze.«
»Haben Sie Amy Lokash getötet?« fragte ich, bemüht, die Kontrolle wiederzugewinnen.
Colin Friendly beugte sich zu mir herüber und stützte seine Ellbogen auf den Tisch. »Ein niedliches kleines Ding, mit Grübchen und einer roten Plastikspange im Haar?«
Ich umklammerte die Tischkante, spürte sie kalt an meinen Händen. »O Gott.« Ich dachte an Donna Lokash, fragte mich, ob ich den Mut finden würde, ihr Gewißheit über das Schicksal ihrer Tochter zu geben. »Sie war noch ein Kind! Wie konnten Sie sich an ihr vergreifen!«
»Na, Sie wissen doch, was man sagt«, gab Colin Friendly lässig zurück. »Wenn sie alt genug sind, um zu bluten, sind sie auch alt genug, um geschlachtet zu werden.« Er machte eine Pause von mehreren Sekunden, um diese Obszönität wirken zu lassen.
»Kennen Sie den John Prince Park?« fragte er dann.
Ich schüttelte den Kopf. Sprechen konnte ich nicht.
»Ein sehr schöner Park. Gleich östlich vom Kongreß, zwischen der Lake Worth und Lantana Road. Sie sollten da bei Gelegenheit mal hingehen. Da gibt’s Picknickplätze und einen Fahrradweg, sogar einen Spielplatz. Wirklich nett. Direkt am Osborne-See. Kennen Sie den Osborne-See?«
»Nein.«
»Schade. Es ist ein wirklich schöner See, so ein langes, gewundenes Ding. Mit zwei oder drei kleinen Brücken. Richtig malerisch. An den Ufern sind immer viele Angler. Mann kann sich auch Boote mieten. Das sollten Sie mal ausprobieren, Kate. Mieten Sie sich ein Boot und fahren Sie raus, bis zur Mitte des Sees ungefähr, da, wo er am tiefsten ist.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ihren Töchtern würde es bestimmt gefallen«, sagte er mit einem breiten Lächeln. »Sie haben doch eine Tochter in Amys Alter, richtig? Ein echt schönes Mädchen, wenn ich mich recht erinnere.«
Ich hielt den Atem an.
»Und eine kleinere haben Sie auch noch. Michelle, Stimmt’s? Vielleicht können wir eines Tages alle zusammen was unternehmen, Sie, ich, Sara und Michelle. Das wär bestimmt nett. So eine Mutter-Tochter-Nummer wär was ganz Neues für mich.«
»Schwein«, murmelte ich.
»Ja,
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