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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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mich nicht akzeptieren, stimmt’s?« fragte er etwas
später, und ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, daß es ihm ernst war.
    »Wundert Sie das?« fragte ich zurück.
    »Es enttäuscht mich«, antwortete er.
    »Sie sind ein verurteilter Mörder«, erinnerte ich ihn.
    »Er ist unschuldig«, behauptete Jo Lynn.
    »Ich bin unschuldig«, wiederholte er zwinkernd.
    Ich nickte und schwieg.
    »Ich hab dir was mitgebracht«, sagte Jo Lynn, als wir unsere Sandwiches aßen. Sie wies mit einer Kopfbewegung auf ihre Handtasche.
    »Ich hab dir auch was mitgebracht«, sagte Colin. Er griff in die Tasche seiner blauen Hose.
    Jo Lynn kreischte vor Vergnügen, als er eine Handvoll Briefe herauszog. »Ach, prima, Fanpost«, quiekte sie und öffnete lachend den ersten Brief. »›Lieber Colin‹«, las sie vor, »›Sie sind der schönste Mann, den ich je gesehen habe. Ihre Augen sind wie Saphire, Ihr Gesicht wie das Antlitz eines griechischen Gottes.‹< Antlitz? Das könnte ein Wort von dir sein, Kate.« Sie lachte wieder. »Ist das nicht einfach herrlich?« Sie nahm sich den nächsten Brief vor. »›Lieber Colin, geben Sie die Hoffnung nicht auf. Wenn Sie Jesus annehmen und in Ihr Herz lassen, wird Gott Ihnen Ihre Sünden und Übeltaten vergeben.‹ So eine dumme Kuh«, sagte Jo Lynn. »Colin hat keine Übeltaten verübt.« Sie öffnete einen weiteren Brief, las ein paar Sekunden lang lautlos. »Oh, das ist der beste überhaupt. Hör dir das an, Kate. Damit kannst du dich bestimmt identifizieren. ›Lieber Colin, ich bin fünfzig Jahre alt. Ich habe braunes Haar und hellbraune Augen, und meine Freunde sagen mir, daß ich immer noch eine gute Figur habe.‹« Sie warf einen vielsagenden Blick in meine Richtung. »›Ich bin eine verheiratete Frau und habe einen Mann, der mich liebt, aber der einzige Mann, den ich begehre, sind Sie. Ich denke Tag und Nacht an Sie. Ich möchte Sie an meine Brust drücken, in meinen Armen wiegen und Ihnen die Liebe geben, die Ihre Mutter Ihnen verwehrt hat.‹ Na, was meinst du, Kate?«

    »Ich meine, diese Frau braucht einen Säugling, aber keinen Mann«, antwortete ich, die Röte der Verlegenheit im Gesicht.
    Jo Lynn gab Colin die Briefe wieder zurück. »Danke, daß du mir die gezeigt hast, Süßer.«
    »Du weißt doch, daß ich keine Geheimnisse vor dir habe«, sagte Colin.
    »Laß dir nur nicht einfallen, einer von diesen Verrückten zurückzuschreiben«, warnte Jo Lynn.
    »Meinetwegen brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen, Baby«, versicherte er. »Das weißt du doch.«
    »Ich weiß, daß ich dich liebe.«
    »Nicht halb so sehr wie ich dich.«
    »Jetzt!« zischte Jo Lynn mir plötzlich über den Tisch hinweg zu und wies mit dem Kinn zu dem Wasserkühler in der anderen Ecke des Raums. Ich sah, wie einer der Häftlinge mit seiner Frau dahinter verschwand, während ein anderer Häftling und seine Frau sich vor dem Kühler aufstellten, vielleicht um den Blick zu versperren, vielleicht um Wache zu stehen, vielleicht auch nur um zu warten, bis sie an der Reihe waren. Sekunden später begann der Kühler heftig zu wackeln. Das Wasser in seinem Inneren schwappte wild, wie die Wellen eines aufgewühlten Meeres, von einer Seite zur anderen.
    »Was passiert, wenn sie erwischt werden?« fragte ich.
    »Du denkst immer nur an die Konsequenzen«, sagte Jo Lynn. »Außerdem ist der Staat selbst daran schuld. Er bräuchte nur den ehelichen Beischlaf zu gestatten.«
    »Ein Mann muß tun, was er tun muß«, erklärte Colin Friendly und drückte den Oberschenkel meiner Schwester.
    »Ihr habt doch nicht …« begann ich und brach ab. Ich wollte es lieber nicht wissen.
    »Am Wasserkühler getrunken?« neckte Jo Lynn. »Nein. Jedenfalls bis jetzt noch nicht.«
    »Das heben wir uns für unsere Hochzeitsnacht auf«, sagte Colin, und sie lachten.
    Ich sprang auf, obwohl ich gar nicht wußte, was ich tun wollte.
Einer der Posten sah herüber, die Augen zusammengekniffen. Ich lächelte, tat so, als wollte ich mich nur strecken, setzte mich wieder. »Habt ihr das Datum schon festgesetzt?«
    »Noch nicht. Zuvor müssen noch eine Menge Dinge erledigt werden. Bluttests und solcher Quatsch. Aber es wird nicht mehr lang dauern«, versicherte Jo Lynn mir.
    »Heiraten wäre so einfach, und sie machen es so kompliziert.« Colin Friendly schüttelte ärgerlich den Kopf. »Hast du deine Schwester schon gefragt?«
    »Was soll sie mich gefragt haben?«
    »Ich wollte dich bitten, meine Trauzeugin zu sein«, sagte Jo

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