Am Seidenen Faden
wieder, wann es Zeit sei, nach Hause zu fahren. Ich erklärte ihr, daß sie einige Zeit bei uns wohnen würde. Sie sagte: »Das ist schön, Kind«, und fragte fünf Minuten später wieder, wann es Zeit sei, nach Hause zu fahren.
»Sie wird dich wahnsinnig machen«, flüsterte Larry, mit seinen neuen Golfschlägern auf dem Weg zur Haustür.
»Wer ist das?« fragte meine Mutter, sich nach ihm umdrehend.
»Das ist Larry, Mama. Mein Mann.«
»Wo will er hin?«
»Er geht nicht weg, Mutter«, antwortete er. »Ich stelle nur die Sachen für morgen zusammen.«
»Das finde ich gut«, sagte sie, obwohl ihr leerer Blick verriet, daß sie keine Ahnung hatte, wovon die Rede war, geschweige denn, ob es gut oder schlecht war. »Ist es schon Zeit, nach Haus zu fahren?«
Gegen zehn brachte ich sie in Saras Bett, und sie schlief beinahe augenblicklich ein. »Schlaf schön«, sagte ich zu ihr, wie ich es immer zu Sara sagte.
»Glaubst du, sie wird durchschlafen?« fragte Larry, als ich zu ihm ins Bett kroch.
»Ich hoffe es.«
»Hast du Mrs. Sperling angerufen?«
»Ja. Ich hab gesagt, ich wollte mich nur vergewissern, daß sie mit Saras Besuch einverstanden sei, und sie sagte, es sei eine Freude, Sara da zu haben.«
»Bist du sicher, daß du die richtige Nummer angerufen hast?«
Ich lachte, kuschelte mich in seinen Arm und machte die Augen zu.
Um halb vier erwachte ich von den Geräuschen, die meine durch das Haus irrende Mutter verursachte. Ich brachte sie wieder zu Bett und kehrte in mein eigenes zurück. Das wiederholte sich jede Stunde, bis ich um halb sieben aufgab und mich anzog. Um sieben fuhr Larry zum Golfplatz. Meine Mutter fragte, wer der nette Mann sei und wohin er fahre.
Als Michelle aufstand, erbot sie sich, mit meiner Mutter einen Spaziergang zu machen, und sie gingen Hand in Hand aus dem Haus. Ich machte mein Bett und ging dann in Saras Zimmer hinüber. Sara hatte wirklich toll aufgeräumt. Man sieht sogar den Fußboden, dachte ich staunend, als ich den Morgenrock meiner Mutter aufhob, um ihn in den kleinen Wandschrank zu hängen.
Beinahe hätte ich die Bücher nicht gesehen. Sie waren hinter irgendwelchen Kleidern in der hinteren Ecke versteckt, und ich wollte den Schrank schon wieder zumachen, als ich sie bemerkte. Ich weiß nicht, was mich veranlaßte, sie mir näher anzusehen. Vielleicht fand ich es einfach seltsam, daß Bücher in einem Kleiderschrank lagen; vielleicht trieb mich schlichtes Mißtrauen gegen Sara. Wie dem auch sei, ich nahm die Bücher hoch, und als ich sie aufschlug, sah ich bestätigt, was ich bereits wußte: Es waren ein Geschichtsbuch und ein Weltatlas. Brauchte Sara diese Bücher denn nicht für die bevorstehende Klassenarbeit?
Ich lief in die Küche und rief bei den Sperlings an. Die Leitung war besetzt. Ich legte auf und versuchte es noch einmal. Immer noch besetzt; ebenso fünf Minuten später, als ich mein Glück ein drittes Mal versuchte. Mach dich nicht lächerlich, sagte ich mir. Ihre Freundin hat die Bücher auch; sie brauchen sie zum Lernen doch nicht in doppelter Ausführung. Aber noch während ich versuchte, mich selbst zu beschwichtigen, wählte ich von neuem die Nummer der Sperlings. »Ach, verdammt«, sagte ich und gab auf, als ich die Haustür hörte.
»Ist was?« fragte Michelle vom Flur aus.
»Ich muß schnell mal weg«, sagte ich, kehrte in Saras Zimmer zurück und holte die Geschichtsbücher. Wenn sie sie nicht brauchte, gut, dann war alles in Ordnung, sagte ich mir und bat Michelle, sich um meine Mutter zu kümmern. Ich würde gleich wieder zurück sein, versicherte ich.
Du benimmst dich wirklich albern, sagte ich mir von neuem, als ich im Auto saß. Das ist doch was anderes als leere Zigarettenschachteln. Es ist was ganz anderes als versteckte Bierflaschen. Sara hat keinen Grund, dich zu belügen. Sie hat sich geändert. Und wenn sie es nicht getan hatte? Ach was, du hast doch selbst mit Mrs. Sperling gesprochen. Sie hat Sara erwartet. Es ist eine Freude, Sara da zu haben, weißt du nicht mehr?
Die Sperlings wohnten in Admiral’s Cove, einem Villenviertel, das für den Durchgangsverkehr gesperrt war. Ich hielt meinen Wagen vor der Haustür an und nannte dem Wächter im Wachhäuschen meinen Namen. Er warf einen Blick in eine Liste. »Tut mir leid, Ihr Name steht nicht auf der Liste.«
»Mrs. Sperling erwartet mich nicht. Aber meine Tochter ist über das Wochenende bei der Familie zu Besuch, und sie hat ihre Bücher vergessen.« Ich wies auf die
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