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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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Allgemeines Oh und Ah, Gelächter. Jemand stimmt ein Lied an. She’ll Be Coming Round the Mountain.
    Hiermit erkläre ich euch …
    Tu’s nicht! Noch ist Zeit, noch kannst du entkommen.
    … zu Mann und Frau.
    Eine Uhr tickt lautlos an der Wand hinter ihnen. Sie hat kein Zifferblatt.
    Colin, Sie dürfen die Braut jetzt küssen.
    Lippen begegnen einander, Körper verschmelzen.
    Neuerliches Gelächter, Jubelrufe, Glückwünsche von allen Seiten.
    Hurra! ruft Colin Friendly, und Jo Lynn lacht und nimmt Sara glücklich in die Arme.
    Tja, jetzt sind wir wohl eine Familie, sagt Colin Friendly zu Sara und winkt sie näher.
    So wird’s wohl sein, sagt Sara, während grobe Arme sie umschließen. Ich presse beide Hände gegen meine Schläfen und versuche diese Bilder aus meinem Hirn zu quetschen.
    Natürlich weiß ich nicht genau, was sich an diesem Nachmittag abspielte, weil ich nicht dabei war und niemals nach Einzelheiten gefragt habe. Ich weiß nur, daß meine Schwester den Mann ihrer Träume und meiner Alpträume heiratete, daß meine Tochter ihre Trauzeugin war, daß mehrere Häftlinge dabei waren, daß einer ein Lied anstimmte, daß alles absolut legal war, daß meine Schwester wieder einmal in den heiligen Stand der Ehe trat.
    Die Boulevardzeitungen machten einen Riesenwirbel um die Hochzeit. Ein Bild von Jo Lynn in ihrem Hochzeitskleid zierte die Titelseite des Enquirer. Ein weiteres Foto auf der Innenseite zeigte sie, wie sie stolz ihren Trauring zeigte, den sie selbst gekauft und bezahlt hatte. »Sobald Colin rauskommt«, wurde sie zitiert, »kauft er mir einen Memoire-Ring mit lauter Brillanten. Diese Ehe«, fügte sie hinzu, »ist für die Ewigkeit geschlossen.«

    Bis daß der Tod uns scheidet.
    Zum Glück war den Reportern nicht erlaubt worden, im Gefängnis zu fotografieren, so daß es keine Bilder von Sara gab; es wurde jedoch berichtet, daß Jo Lynns Nichte als Trauzeugin zugegen gewesen war, ein Hinweis darauf, vermuteten die Zeitungen, daß ihre Familie zu ihr stehe.
    »Es war genauso, wie ich mir eine Hochzeit immer gewünscht habe«, babbelte meine Schwester. »Dezent und wunderschön. Es war soviel Liebe in diesem Raum.«
    Die Zeitung ging dann kurz auf Jo Lynns drei frühere Ehen ein und brachte sogar ein Interview mit Andrew MacInnes, Ehemann Nummer eins, der aller Welt mitteilte, daß Jo Lynn immer schon ihren eigenen Kopf gehabt hätte und für jeden Mann eine Herausforderung sei. Er erwähnte nicht, daß er der Herausforderung begegnet war, indem er sie bis zur Besinnungslosigkeit verprügelt hatte.
    Die Liebesgeschichte zwischen meiner Schwester und Colin Friendly wurde breit ausgewalzt, man sprach von ihrer unerschütterlichen Treue, ihrem felsenfesten Glauben an seine Unschuld. Hätte man nicht gewußt, daß der Mann ein verurteilter Serienmörder war, der dreizehn Frauen und Mädchen gequält und grausam ermordet hatte und in Verdacht stand, am Verschwinden zahlloser weiterer Frauen schuld zu sein, man hätte meinen können, man habe es hier mit Romeo und Julia aus Palm Beach zu tun, einem hingebungsvoll liebenden Paar, dessen böswillige Feinde alles daransetzten, das Zusammenkommen der beiden zu verhindern.
    Wobei man allerdings Colin Friendlys Geschichte keineswegs unter den Tisch fallen ließ. Schauerliche Einzelheiten seiner mörderischen Taten füllten Seite um Seite. Neben einem Profil Jo Lynns fand sich ein ausführlicher Hinweis auf Colin Friendlys Hang, seinen Opfern die Nase zu brechen, was, wie die Psychologen beim Prozeß ausgesagt hatten, auf seine Kindheit zurückzuführen sei, weil seine Mutter ihm wiederholt die Nase in seine eigenen Exkremente gestoßen hatte. Dieselben Psychologen
stellten nun Spekulationen darüber an, was Colin Friendly dazu veranlaßt hatte, meine Schwester zu heiraten, und was sie ihrerseits veranlaßt hatte, ihn zum Mann zu nehmen. Die Suche nach Zuverlässigkeit und Freundschaft sowie Imagepflege seien Colin Friendlys Triebfedern gewesen, erklärten sie. Bei Jo Lynn tippten sie auf Publicitysucht, Einsamkeit und einen Märtyrerkomplex. Zu der Frage, ob die Ehe halten würde oder nicht, äußerten sie unterschiedliche Meinungen. »Sie hat die gleiche Chance wie jede andere Ehe«, meinte einer.
    An dem Samstag nachmittag, als ich dahinterkam, daß Sara nicht bei den Sperlings war, rief ich im Gefängnis an, weil ich hoffte, die Trauung noch verhindern zu können. Aber es war bereits alles vorbei. Meine Schwester war abgefahren. Colin Friendly saß

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