Am Seidenen Faden
gegen das Glas. »Sag mir, was du willst«, flüsterte er.
»Ich weiß nicht, was ich will.«
»Ich glaube doch.«
»Dann sag du es mir.«
Er küßte mich. Es war einer dieser tiefen, sehnsuchtsvollen Küsse, bei denen einem ganz schwach wird. »Nein, sag du es mir. Sag mir, was du gern hast.«
»Ich mag es, wenn du mich küßt«, sagte ich.
Mit der Zunge streifte er über meine Lippen. »Was magst du noch?« Seine Zunge wurde drängender, stieß zwischen meine Zähne vor. »Sag mir, was du noch magst.«
»Ich weiß es nicht.«
»Sag mir, was ich tun soll. Was du gern hast.«
»Ich weiß nicht.«
»Sag mir, wann wir zusammensein können.«
»Ich weiß nicht.«
»Wie wäre es nächste Woche? Ich nehme mir den nächsten Mittwoch frei. Wir fahren irgendwohin und lieben uns den ganzen Tag.«
»Nächsten Mittwoch kann ich nicht.«
»Doch, du kannst.«
»Nein, ich kann nicht. Ich habe einen Arzttermin.«
»Sag ihn ab.«
»Das geht nicht. Es war die einzige Möglichkeit, meine Mutter zu bewegen mitzukommen.« Seine Lippen dämpften meine letzten Worte.
»Wann dann?«
»Ich weiß es nicht.«
Abrupt löste er sich von mir, und einen Moment lang hatte ich dasselbe Gefühl wie bei der Mammographie, als würde ein Teil meines Fleisches aus meinem Körper gerissen. Er zog seine Krawatte gerade und lächelte traurig. »Wir sind keine Teenager mehr, Kate«, sagte er. »Jedes Spiel hat seine Grenzen.«
»Ich spiele nicht.«
»Was tust du dann?«
»Mir geht einfach alles ein bißchen zu schnell.«
»Nach dreißig Jahren?« entgegnete er, und ich lächelte. »Hör zu.« Er ging zu seinem Schreibtisch mit der schwarzen Marmorplatte zurück und lehnte sich dagegen. »Ich möchte dich nicht zu irgend etwas drängen, das du nicht willst …«
»Ich weiß nicht, was ich will«, unterbrach ich.
»Ich glaube, du weißt es doch.« Die Sprechanlage auf seinem Schreibtisch summte. Er beugte sich vor und drückte auf einen Knopf. »Ja?«
Die Stimme seiner Sekretärin schallte durch das Zimmer und prallte von den Glaswänden ab. »Melanie Rogers ist hier.«
»Schicken Sie sie herein«, sagte er unbefangen, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Den nächsten Schritt mußt du tun, Kate.« Die Tür seines Büros wurde geöffnet. Eine auffallend schöne Frau mit dunklem roten Haar und einem großen, vollen Mund kam herein. »Melanie«, sagte er und küßte sie auf beide Wangen, wie er es kurz vorher bei mir getan hatte.
Ich hob meine Hand zu meinem Gesicht und strich über die Stelle, die seine Lippen berührt hatten.
»Es tut mir leid, daß ich mich verspätet habe.« Ihre weiche Stimme hatte etwas Hypnotisches.
»Das macht doch nichts. Es paßt wunderbar. Darf ich dich mit einer alten Freundin bekanntmachen? Melanie Rogers – das ist Kate Sinclair. Wir kennen uns schon sehr lange.«
An Melanies Antwort kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß nur noch, daß ich meinte, noch nie so tiefgrüne Augen gesehen zu haben, und daß ich mich fragte, was ihr Mittagessen mit Robert zu bedeuten hatte.
Ich murmelte irgend etwas wie, »dann will ich dich nicht länger aufhalten«, und steuerte auf die Tür zu.
»Ich hoffe sehr, du meldest dich bald wieder«, sagte Robert, als ich zum Korridor hinaustrat. Dann schloß sich die Tür seines Büros hinter mir.
Meine Mutter zog am Freitag abend zu uns.
Sie hatte einen weiteren Zusammenstoß mit dem armen Mr. Emerson gehabt; diesmal hatte sie ihn mit seinem eigenen Spazierstock angegriffen und ihm einen so kräftigen Schlag auf den Kopf verpaßt, daß er gestürzt war. Sowohl Mr. Emersons Angehörige als auch Mrs. Winchell verlangten nun den sofortigen Auszug meiner Mutter aus dem Palm Beach Lakes Seniorenheim. Mr. Emersons Angehörige drohten sogar mit einer Anzeige für den Fall, daß wir der Forderung nicht nachkommen sollten.
Es war gar keine Frage, wohin wir sie bringen sollten. Wir hatten keine Wahl. Sie mußte zu uns ziehen.
»Sie kann über das Wochenende mein Zimmer haben«, bot Sara an, die vorhatte, bei einer Freundin zu übernachten, um mit ihr zusammen für die bevorstehende Geschichtsarbeit zu pauken. Ohne daß ich erst darum bitten mußte, gab sie mir sogar Namen, Adresse und Telefonnummer der Freundin und erlaubte mir, die Mutter des Mädchens anzurufen.
»Was meinst du, wie lange das anhalten wird?« meinte Larry staunend und verwundert.
»Ich nehme, was ich kriegen kann«, antwortete ich.
Meine Mutter schien verwirrt durch den Umzug. Sie fragte immer
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