Am Seidenen Faden
führte mich weg. »Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen.«
»Die redet schon wieder mit dir. Sobald sie was haben will«, sagte Michelle.
»Ist es Zeit, nach Hause zu fahren?« fragte meine Mutter.
»Ich bin noch auf der Suche nach einer schönen Wohnung für dich, Mama«, sagte ich. Mir war klar, daß ich etwas unternehmen mußte. Es wurde immer offenkundiger, daß sie hier auf Dauer nicht bleiben konnte. »Aber vorher müssen wir noch zum Arzt. Wir haben morgen einen Termin, weißt du noch?«
Natürlich wußte sie es nicht mehr. Sie vergaß alles von einer Minute zur anderen. Sie hatte keine Ahnung, warum ich sie am folgenden Morgen so früh weckte; sie hatte keine Ahnung, wohin wir wollten, als ich auf der Suche nach der Praxis von Dr. Wong den Dixie Highway in südlicher Richtung hinunterfuhr.
»Wie fühlst du dich?« fragte ich.
»Prächtig«, antwortete sie. »Wo fahren wir hin?«
»Zur Gynäkologin. Es ist nur eine Routineuntersuchung.«
»Gut, Kind.«
Aber so gut war es gar nicht, wie sich dann zeigte. Bei dieser Untersuchung nämlich entdeckte Dr. Wong die beiden Polypen in meinem Körper und entfernte sie. »Ich bin sicher, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, aber ich schicke sie auf jeden Fall ein«, sagte sie, als ich mich wieder hochrappelte. »Am besten fragen Sie in zwei Wochen mal nach. Bis dahin müßten wir das Ergebnis haben.«
Ich nickte und öffnete die Tür zum Wartezimmer. Meine Mutter blätterte in der Morgenzeitung. Auf der Titelseite war ein Foto von Jo Lynn, die stolz ihren selbstgekauften Trauring vor die Kamera hielt. Mir wurde übel. Ich drückte beide Hände auf meinen Bauch.
»Ich gebe Ihnen ein paar Tabletten gegen die Krämpfe mit«, sagte Dr. Wong. »Und eine Woche lang keinen Geschlechtsverkehr«, sagte sie, als wir gingen.
Kein Problem, dachte ich. In Gedanken war ich bei Robert, als meine Mutter und ich langsam zum Parkplatz gingen. Am liebsten hätte ich mich auf dem warmen grauen Asphalt wie ein Fötus zusammengerollt. Ein Glück, daß Robert und ich keine Pläne für heute nachmittag gemacht hatten. Ich hätte beinahe gelacht, bei dem Gedanken.
»Wie geht es dir, Mama?« fragte ich, als ich ihr den Sicherheitsgurt umlegte.
»Prächtig. Und dir, Kind?«
»Ich hab mich schon besser gefühlt«, bekannte ich.
Sie lächelte. »Das ist gut, Kind.«
Zu Hause setzte ich meine Mutter im Wohnzimmer vor den Fernsehapparat und kroch ins Bett. Innerhalb von Minuten war ich eingeschlafen, und Träume von Sara umkreisten mich wie Flugzeuge, die auf Landeerlaubnis warten. Zum Glück kann ich mich an Einzelheiten nicht erinnern. Ich weiß nur, daß wir an einer
Stelle in einen schrecklichen Streit gerieten und begannen, uns zu schlagen. Saras Faust traf mich voll in den Unterleib. Ich fuhr mit mörderischen Schmerzen im Bauch aus dem Schlaf und rannte ins Bad. Blut tropfte in die Toilette. »Reizend«, sagte ich, schluckte noch eine Tablette und flüchtete mich wieder ins Bett.
Das Telefon läutete. Es war Larry. »Wie war es?« fragte er, und ich erzählte es ihm. »Warum hast du mich nicht angerufen? Ich hätte dich doch abholen können.«
»Das war nicht nötig.«
»Du mußt nicht alles allein machen, Kate.«
»Eine Woche lang keinen Sex«, sagte ich.
Er seufzte. Sonst was Neues? schien der Seufzer zu sagen.
»Ich werd versuchen, früher nach Hause zu kommen«, bot er an.
»Nicht nötig.«
»Schließ mich nicht aus, Kate.«
»Das tue ich doch gar nicht.« Aber ich tat es.
Ich legte den Hörer auf, streckte mich wieder aus und dachte an Robert. Wir waren in einem der jüngst renovierten Zimmer im Breakers Hotel, einem großen, sonnendurchfluteten Raum mit Blick auf den Ozean. Die Wellen schwappten sanft plätschernd durch die hohen Fenster zu dem breiten französischen Bett, auf dem wir lagen und einander zärtlich küßten und liebkosten. Weiter entwickelte sich die Phantasie nicht; vielleicht wegen der Krämpfe, die mich plagten, vielleicht weil Sara sich dauernd ins Hotelzimmer drängte und Robert schließlich aus dem großen Bett warf und in eines der anderen Zimmer vorn im Hotel verbannte. Ihre Stimme übertönte das sanfte Plätschern des Meeres.
Ich ließ den Auftritt mit Sara noch einmal ablaufen und durchlebte wieder alles, was geschehen war, den heftigen Wortwechsel, den Sarkasmus, die Schläge; dann spielte ich die Szene von neuem durch, diesmal mit einem anderen Drehbuch. In dieser bearbeiteten Version blieb ich kühl und gelassen,
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