Am Seidenen Faden
absurd ist. Vielleicht hält sie diesmal wirklich durch. Außerdem hab ich ja den Vorschlag gemacht. Ich hab ihr die Idee in den Kopf gesetzt und sie überredet, es zu versuchen.«
»Deswegen bist du noch lange nicht verantwortlich, Kate«, entgegnete Larry. »Du bist nicht die Hüterin deiner Schwester.«
»Ich denke nur, es ist vielleicht ihre letzte Chance.«
»Wenn sie wirklich studieren will, dann soll sie jobben und ihr Studium aus eigener Tasche bezahlen. So wie tausend andere auch.«
»Ja, sicher, aber …«
»Ach, Kate, ich weiß, sie ist deine Schwester und du möchtest ihr gern helfen. Daran will ich dich gar nicht hindern. Ich meine, wenn du das Geld hast und es ihr geben möchtest, ist das deine Sache, aber verlange nicht von mir, daß ich da mitmache. Ich kann nicht und ich will nicht.«
»In Ordnung«, sagte ich. Aber es war nicht in Ordnung.
»Weißt du, was ich nicht verstehe?«
Die Frage war rein rhetorisch. Sie verlangte keine Antwort.
»Ich verstehe nicht, daß du dich so leicht einwickeln läßt. Sie schafft das jedesmal bei dir. Erst bist du stocksauer auf sie und willst sie nie wiedersehen; und im nächsten Moment bist du bereit, ihr dein letztes Hemd zu geben.«
»Sie ist meine Schwester.«
»Sie ist ein hoffnungsloser Fall. Das war sie schon immer. Aber jetzt ist sie außerdem noch gefährlich. «
»Gefährlich?«
»Ja, gefährlich. Frauen, die sich mit Serienmördern einlassen, sind leichtsinnig; Frauen, die Serienmörder heiraten, sind verrückt; Frauen, die ihre minderjährigen Nichten in ihren Wahnsinn hineinziehen, sind gefährlich.«
»Ich hab nur gedacht, wenn ich ihr irgendwie helfen könnte …«
»Ihr ist nicht zu helfen.« Er setzte sich auf und beugte sich, auf einen Ellbogen gestützt, über mich. »Kate, du weißt doch so gut wie ich, daß man Menschen wie Jo Lynn nicht aus dem Dreck ziehen kann. Sie können einen höchstens zu sich hinunterziehen.«
Er senkte den Kopf, um mich zu küssen. Ich drehte mich auf die Seite, das Gesicht zum Fenster.
»In einer Woche bist du mich los«, sagte er traurig und legte sich wieder hin. »Dann hast du ein paar Tage für dich und kannst dir in Ruhe überlegen, was du tun willst.«
Er sagte nicht, in welcher Hinsicht. Er brauchte es gar nicht. Wir wußten beide, wovon er sprach.
Am nächsten Tag rief ich Robert an und berichtete ihm von Larrys Plänen. Wir verabredeten uns für den folgenden Samstag. Im Breakers. Wir würden ein Zimmer mit Blick aufs Meer nehmen.
Der Brief kam wenige Minuten, nachdem Larry zum Flughafen gefahren war. Ich betrachtete ihn ein paar Sekunden lang, ohne ihn zu öffnen, wunderte mich über die fremde Hanschrift, das Fehlen eines Absenders. Ich nahm ihn in die Küche und schnitt mich an dem scharfen Papier, als ich den Umschlag aufriß. Ein wenig Blut tropfte auf das Papier.
»Jetzt ist es amtlich, liebe Katie«, begann der Brief. »Wir sind eine Familie.«
Mein Blick flog zum unteren Teil des weißen Blatts. Meine Hände zitterten, mein Herz raste. »Alles Liebe, Colin«, stand da widerlich klar und deutlich.
»Nein!« rief ich laut, während ich »Jetzt ist es amtlich. Wir sind eine Familie« ein zweites Mal las und mich zwang weiterzulesen. »Ich muß sagen, ich finde das großartig. Wie dem auch sei, ich wollte Sie nur wissen lassen, wie leid es mir getan hat, daß Sie zur Hochzeit nicht kommen konnten. Aber Sara hat Ihnen alle Ehre gemacht. Sie haben wirklich eine hinreißende Tochter. Man könnte sagen, sie ist so süß wie die erste Erdbeere im Frühling.«
Tränen der Wut traten mir in die Augen. Ich wischte sie weg und las weiter.
»Ich weiß, Sie haben nicht gerade einen Narren an mir gefressen, Kate. Aber ich dafür an Ihnen. Ich hoffe, ich kann es Ihnen eines Tages beweisen. Inzwischen muß ich mich damit begnügen, an Sie zu denken. Alles Liebe, Colin.«
»Nein! Nein! Nein!« schrie ich immer lauter und zerriß den Brief in tausend Fetzen, die wie Konfetti zu Boden fielen. Zu spät wurde mir bewußt, wie dumm es war, und ich versuchte, die Schnipsel wieder einzusammeln. Doch dieses Unterfangen gab
ich gleich wieder auf. »Das hast du wirklich toll gemacht«, beschimpfte ich mich. »Das war echt clever.« Ich atmete einmal tief durch. Dieses Beweisstück hatte ich vernichtet. Völlig sinnlos, die Polizei anzurufen. Statt dessen rief ich meine Schwester an.
»Du hast ihm einfach unsere Adresse gegeben?« rief ich, sobald ich ihre Stimme hörte.
»Er hat gesagt, er wollte
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