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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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wissen. Ich hätte beinahe gelacht vor Erleichterung.
    »Nehmen Sie doch Platz.«
    Sie ließ sich in einem der Besuchersessel nieder und schlug die pfirsichfarbenen Beine übereinander. »Ich bin ein bißchen verlegen.«
    »Sind Sie sicher, daß Sie gerade mit mir sprechen wollen?«
    »Ja«, antwortete sie rasch. »Mir ist aufgefallen, daß Sie gut zuhören können. Und Robert schätzt Sie sehr.«
    Wie, fragte ich mich im stillen, stand es um die ethische Vertretbarkeit einer Beratung der Ehefrau meines Liebhabers? Er war natürlich noch nicht mein Liebhaber, und ich hatte ja auch noch nicht zugesagt, seine Frau als Klientin anzunehmen. Brandis Besuch würde sich hoffentlich als einmaliges Ereignis erweisen.

    »Ich meine nur, daß Sie sich vielleicht wohler fühlen würden, wenn Sie mit jemandem sprächen, den Sie nicht kennen«, bemerkte ich. Mir jedenfalls wäre das weit angenehmer gewesen.
    »Nein, nein, ich möchte wirklich gern mit Ihnen sprechen.«
    »Gut.« Ich zwang mich zu einem beruhigenden Lächeln, nahm meinen Block und meinen Stift. »Was kann ich für Sie tun?« Anscheinend würde mir nichts anderes übrig bleiben, als sie anzuhören. Danach konnte ich ihr immer noch einen anderen Therapeuten empfehlen, tröstete ich mich.
    Brandi Crowe sah sich ratlos im Zimmer um. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
    »Beginnen Sie doch einfach mit dem, was Sie bewogen hat, hierherzukommen.«
    Sie lachte, aber in ihren Augen sammelten sich schon Tränen. Lange sprach sie kein Wort, schluckte nur mehrmals. »O Gott, ist das peinlich. Es ist so ein Klischee.«
    »Irgend jemand hat mal gesagt, daß ein Klischee etwas ist, was allzu häufig wahr ist. Es braucht Ihnen nicht peinlich zu sein.«
    »Danke.« Sie lächelte, schluckte wieder. »Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.« Sie zuckte hilflos die Achseln. Tränen tropften auf den Kragen ihrer Pfirsichjacke.
    Ich nahm ein Papiertuch aus der Schachtel und reichte es ihr. Sie tupfte sich die Augen, vorsichtig, um ihr Make-up nicht zu verwischen.
    »Warum erzählen Sie mir nicht zu Beginn ein wenig darüber, wer Sie waren «, sagte ich.
    »Sie meinen, über meine Kindheit?«
    »Ich weiß, daß Ihrem Vater eine ganze Reihe Rundfunksender gehören«, sagte ich, sie ermutigend.
    Sie nickte bestätigend. »Er hat vierzehn Sender.«
    »Und Ihre Mutter?«
    »Sie ist gestorben, als ich einundzwanzig war. Sie hat Selbstmord begangen.«
    »O Gott, wie schrecklich.«
    »Wir standen einander nicht nahe, aber ja, es war schrecklich.«

    »Haben Sie Geschwister?«
    »Zwei Schwestern. Beide älter. Die eine lebt in Maui, die andere in Neuseeland.«
    »Das ist sehr weit weg.«
    Sie lachte. »Das kann man wohl sagen.«
    »Da sehen Sie sie sicher nicht oft.«
    »Fast nie.«
    »Und wie ist das für Sie?«
    »Ach, ganz in Ordnung, wir haben nicht viel gemeinsam.«
    »Wie hat Ihre Mutter sich das Leben genommen?« fragte ich aufrichtig interessiert.
    »Sie hat sich im Büro meines Vaters erhängt.« Brandi Crowes Ton war distanziert, leidenschaftslos, als spräche sie von einer Fremden, nicht von ihrer Mutter. »Ich glaube, sie wollte endlich einmal seine Aufmerksamkeit gewinnen.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist ihr nicht gelungen. Er ist an dem Tag gar nicht ins Büro gegangen. Jemand vom Reinigungspersonal hat sie gefunden.«
    »Die Ehe war offenbar nicht glücklich«, bemerkte ich.
    »Oh, mein Vater war durchaus glücklich. Er hatte seine Sender, eine Familie und seine Frauen.«
    »Seine Frauen?« Der Stift in meiner Hand zitterte. Ich legte ihn nieder.
    »Mein Vater ist so einer von diesen Titanentypen, wie man sie oft im Kino sieht. Groß und mächtig, unheimlich selbstbewußt und fordernd. Er ist schwer zufriedenzustellen. Na ja, in den letzten Jahren ist er ein bißchen ruhiger geworden. Er ist älter und nicht mehr ganz so beweglich. Aber es reicht immer noch.«
    »Und Ihre Mutter wußte, daß er ihr untreu war?«
    »Das wußten wir alle. Er hat sich gar nicht bemüht, seine Affären zu verheimlichen.«
    »Und wie haben Sie sich dabei gefühlt?«
    Brandi Crowe drehte den Kopf und starrte zum Fenster hinaus. »Herabgesetzt«, antwortete sie schließlich.
    Eine interessante Wortwahl, dachte ich. »In welcher Hinsicht?«

    »Ich weiß nicht, ob ich das erklären kann. Ich vermute, ich habe seinen Betrug persönlich genommen, als würde er nicht nur meine Mutter betrügen, sondern auch mich. Es hat mir das Gefühl gegeben, überhaupt nicht wichtig zu sein.«
    »Haben Sie einmal

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