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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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hoch, und ich folgte ihrer stillschweigenden Anweisung und schob mein Kinn vor.

    »Ist was mit deinem Hals?« fragte Jo Lynn.
    »Er ist ein bißchen steif«, antwortete ich schnell.
    »Das kommt daher, daß du dich nicht entspannen kannst. Du mußt lernen, alles ein bißchen lockerer zu nehmen. Versuch doch nicht ständig, perfekt zu sein.«
    »Ich versuche gar nicht, perfekt zu sein.«
    »Weißt du, was dein Problem ist?« Jo Lynn legte die Gabel aus der Hand, mit der sie immer wieder das Gemüse rührte. »Du bringst deine Arbeit mit nach Hause.«
    »Das stimmt wahrscheinlich«, gab ich zu.
    »Du bist es so gewöhnt, anderen zu sagen, wie sie ihr Leben führen sollen, und damit will ich gar nicht sagen, daß das nicht okay ist, mißversteh mich nicht, das gehört zu deiner täglichen Arbeit, aber darüber vergißt du natürlich, daß zu Hause niemanden deine Meinung interessiert.«
    »Wie bitte?«
    »Kann ich was helfen?« fragte Michelle hastig. »Soll ich schon mal die Getränke einschenken? Oder den Reis umrühren?«
    »Du kannst deine Großmutter wecken«, sagte Jo Lynn. »Sag ihr, daß das Essen in fünf Minuten fertig ist.«
    »Dann ist es doch besser, wenn ich sie erst in fünf Minuten wecke.« Michelle wollte uns beide offensichtlich nicht miteinander allein lassen.
    »Nein, sie braucht bestimmt fünf Minuten, um aufzustehen, und ich laß das Essen ihretwegen nicht verkochen. Also, mach schon. Weck sie auf.«
    »Ja, geh ruhig«, sagte ich zu ihr.
    »Mein Gott, sie ist wirklich genau wie du«, bemerkte Jo Lynn, als Michelle hinausgegangen war. »Kein Wunder, daß sie dein Liebling ist.«
    »Was soll das? Ich habe keinen Liebling.«
    »Also hör mal!« Sie spießte ein paar Gemüsestückchen mit ihrer Gabel auf und blies, ehe sie sie kostete. »Mhm, köstlich. Reich mir doch mal eine Platte.«
    »Hat Sara dir erzählt, daß ich Michelle bevorzuge?«

    »Das braucht sie gar nicht. Die Platte …?«
    Ich holte eine große Platte aus dem Schrank und reichte sie meiner Schwester. Lieber hätte ich sie ihr an den Schädel geschlagen. »Was tust du eigentlich hier, Jo Lynn?«
    »Ich mach das Abendessen.«
    »Warum?«
    »Na ja, das ist eben meine Art, mich zu entschuldigen.«
    Ich hätte beinahe gelacht. Meine Schwester hatte eine seltsame Art, sich zu entschuldigen. »Und das ist der einzige Grund, weshalb du hier bist?«
    Sie zuckte die Achseln, als wäre das, was folgte, gänzlich unwichtig. »Ich muß mit Mama reden.«
    »Worüber?«
    »Das Essen ist fertig!« rief Jo Lynn laut. Sie häufte Gemüse und Reis auf die Platte und stellte diese auf den Tisch in der Frühstücksnische. »Kommt und holt es euch.«
    »Ich möchte nur nicht, daß du etwas zu ihr sagst, was sie aufregt«, bemerkte ich, ehe jemand von den anderen in die Küche kam.
    »Ich finde, das geht dich nichts an.« Jo Lynn begleitete ihre Zurechtweisung mit einem freundlichen Lächeln.
    Sara war die erste am Tisch. Sie bediente sich und hatte schon zu essen angefangen, ehe wir anderen dazu gekommen waren, uns zu setzen.
    »Meinst du nicht, du solltest warten, bis alle da sind?« fragte ich.
    »Iß ruhig«, sagte Jo Lynn, während sie Wasser in die Gläser füllte. »Seit wann geht’s hier so förmlich zu? Du auch, Kate, nimm dir.«
    »Ich warte auf die anderen.«
    »Wie du willst. Aber heiß schmeckt’s besser.« Jo Lynn lud sich ihren Teller voll.
    »Was ist denn das?« fragte meine Mutter, als Michelle sie hereinführte. »Eine Party?«
    Sie hatte ein blaßrosa Hemdblusenkleid an. Ihre grauen
Locken waren vom Schlaf etwas flach gedrückt. Sie sieht richtig wie meine Mutter aus, dachte ich.
    »Ja, Mama«, antwortete Jo Lynn. »Die Party ist für dich. Du darfst weinen, wenn du willst.«
    »Weinen?« fragte meine Mutter, die den Bezug auf den alten Lesley-Gore-Hit nicht verstand.
    »Iß«, sagte meine Schwester.
    »Es riecht herrlich.«
    »Und es schmeckt noch besser«, bemerkte Sara, als Michelle meiner Mutter half, sich zu setzen.
    »Ja, Kate ist eine großartige Köchin«, meinte meine Mutter. Jo Lynn klatschte meiner Mutter eine Riesenportion Eintopf auf den Teller. » Ich hab das Essen gemacht«, bemerkte sie.
    »Ach, wirklich? Bravo.«
    Jo Lynn hob ihr Glas Wasser. »Ich möchte einen Toast ausbringen.« Sie wartete. Ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen und gefror, während wir zu unseren Gläsern griffen. »Auf neue Anfänge.« Wir stießen alle miteinander an.
    »Ist das eine Party?« fragte meine Mutter.
    »Ja, Großmama«,

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