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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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ihre Worte überlegte, eine Eigenschaft, die ich bei anderen immer bewundert habe, vielleicht weil ich selbst sie nicht besitze. Ich warf einen Blick auf meine Uhr, dann auf meinen Terminkalender. In der 13-Uhr-Spalte stand der Name Donna Lokash.
    »Sie wissen ja sicher, wie gern Ihre Mutter backt …«

    »Ja, natürlich. Sie ist eine hervorragende Köchin.«
    Mrs. Winchell ging darauf nicht ein. »Und sie hat ihre Freunde und Nachbarn immer mit kleinen Leckerbissen überrascht …«
    Komm endlich zur Sache, hätte ich am liebsten geschrien, tat es aber nicht, sondern stopfte mir statt dessen ein vergessenes Plätzchen, das ich auf meinem Schreibtisch entdeckte, in den Mund.
    »Aber wenn sie in letzter Zeit etwas gebacken hat, sind die Leute hinterher jedesmal krank geworden.«
    Ich zog die Brauen zusammen. Was wollte diese Frau mir sagen? Daß meine Mutter absichtlich ihre Nachbarn vergiftete, wie Mr. Emerson behauptet hatte. »Ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen«, sagte ich.
    Wieder trat eine längere Pause ein. Ich stellte mir die Frau vor, wie sie sich in ihrem Büro umsah, über ihre krausen schwarzen Locken fuhr, sich die Nasenspitze rieb. »Wahrscheinlich ist es einfach so, daß diese alten Mägen immer empfindlicher werden und so schweres Essen nicht mehr vertragen«, erklärte sie vorsichtig, »aber ich dachte, Sie könnten vielleicht Ihre Mutter bitten, vorläufig einmal nichts für andere zu backen.«
    Schon sah ich den verletzten Blick meiner Mutter, wenn ich ihr Mrs. Winchells Bitte übermitteln würde, und es brach mir fast das Herz. »Gut, ich werde mir ihr sprechen«, sagte ich.
    »Da ist noch etwas«, fuhr Mrs. Winchell fort.
    Ich wartete schweigend.
    »Es geht um die Beschuldigungen, die Ihre Mutter gegen einen unserer Angestellten vorgebracht hat.«
    »Bitte? Ich verstehe nicht.«
    »Sie hat Ihnen nichts davon gesagt?«
    Ich schüttelte den Kopf: »Nein.«
    »Ich glaube, am Telefon können wir das nicht besprechen. Es ist zu schwierig. Es wäre besser, wir treffen uns. Vielleicht könnten wir uns bald einmal zusammensetzen, Sie, Ihre Mutter und ich. Ach, und Sie haben doch eine Schwester, nicht wahr?«
    Prompt hörte ich Jo Lynns Stimme auf meinem Anrufbeantworter:
›Du mußt diesen Mann sehen, Kate. Er sieht noch besser aus als auf den Fotos, und ich bin absolut überzeugt, daß er unschuldig ist.‹ »Ja, ich habe eine Schwester«, antwortete ich.
    »Ich denke, es wäre gut, wenn sie auch zu dieser Besprechung käme. Dann können wir alles gründlich durchsprechen und den Dingen hoffentlich auf den Grund kommen.«
    Meine Mutter, Jo Lynn und ich, dachte ich und stellte mir Jo Lynn im Gerichtssaal vor, ein Ein-Frau-Jubel-Kommando. Bestimmt hatte sie aufs Mittagessen verzichtet, um einen Platz in der Nähe des Angeklagten ergattern zu können, wenn die Nachmittagssitzung begann. Sie würde wie gewöhnlich ganz in Weiß gekleidet sein, um ihre goldbraune Haut ins rechte Licht zu setzen, und ein kurzes Röckchen tragen, um ihre Beine zur Geltung zu bringen. Ganz zu schweigen von dem knappen kleinen Oberteil. Unmöglich, daß Colin Friendly Jo Lynn Baker nicht bemerken würde. Dafür würde sie sorgen.
    »Mein einziger freier Tag ist der Mittwoch«, sagte ich zu Mrs. Winchell, während ich schon überlegte, wie ich es schaffen sollte, Jo Lynn zu überreden, mich zu begleiten.
    »Würde es Ihnen am Mittwoch um zwei passen?« fragte Mrs. Winchell sofort.
    »In Ordnung.«
    »Gut. Bis Mittwoch also.«
    Sie legte auf. Ich blieb einen Moment mit dem Hörer am Ohr sitzen und fragte mich, was da vorging. Meine Mutter war keine Unruhestifterin und hatte in ihrem Leben nie geklagt, selbst wenn sie berechtigten Anlaß dazu gehabt hatte. Jahrelang hatte sie sich von meinem Stiefvater kujonieren lassen, ohne ein Wort darüber zu verlieren, nur darauf bedacht, meine Schwester und mich vor Dingen zu schützen, die wir bereits wußten. War das immer noch so? Versuchte sie auch jetzt noch, uns zu schützen?
    Ich schüttelte den Kopf und mußte unwillkürlich an Sara denken. Hörte eine Mutter je auf, ihr Kind schützen zu wollen?
    Ich erledigte die restlichen Anrufe, dann tauschte ich mein blaues Kleid und meine Ballerinaschuhe gegen einen grauen Trainingsanzug
und Turnschuhe und stellte mich auf die Tretmühle. Ganz langsam steigerte ich das Tempo, bis ich mit flotten sechs Kilometern pro Stunde dahinmarschierte, die Arme im Takt zu beiden Seiten schwingend, den Kopf angenehm leer. Es dauerte

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