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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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aschfarbenen Haut waren keine Sommersprossen.
    Sie hatte keine rote Spange im Haar.
    »Und was geschieht jetzt?« fragte ich.
    »Wir werden weiter versuchen herauszubekommen, wer sie ist«, antwortete Gatlin, während Fred Sheridan schon wieder auf dem Weg hinaus war. »Und wir werden weiter nach Amy suchen.«
    »Meine Tochter ist nicht durchgebrannt«, erklärte Donna mit Entschiedenheit.
    »Ich fahre Sie nach Hause, Mrs. Lokash«, sagte der Polizeibeamte.
    »Nein, schon gut, ich bringe sie heim«, entgegnete ich.
    Donna lächelte dankbar. »Ich weiß nicht, ob ich überhaupt aufstehen kann«, sagte sie.
    »Lassen Sie sich Zeit«, sagte ich zu ihr, wie zuvor Fred Sheridan zu mir gesagt hatte.

    »Was ist mit Ihnen?« fragte sie, als ich ihr aufhalf. »Wie fühlen Sie sich?«
    »Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen.«
    Gatlin öffnete uns die Tür, und wir traten in die Sonne hinaus. Ins Land der Lebenden, dachte ich. »Oh, schauen Sie«, sagte Donna und deutete zu der Stelle, wo vor weniger als einer halben Stunde die Moschusente mit ihrer Kinderschar gesessen hatte. Nur noch die zersprungenen Eier waren da. »Wo sind sie denn hin?«
    »Die Mutter hat sie wahrscheinlich zum Teich rübergeführt«, meinte Gatlin. »Hinten brütet noch eine Ente. Ich glaube, da werden die Jungen auch bald ausschlüpfen. Sie können es sich ruhig mal ansehen.«
    »Tun wir das?« fragte mich Donna wie ein kleines Kind.
    »Wenn Sie möchten.«
    Wir verabschiedeten uns von Officer Gatlin und gingen um das Haus herum nach hinten. Dort saß in einer schattigen Ecke eine weitere dicke Moschusente mit ihren Eiern um sich herum.
    »Schauen Sie«, sagte Donna und zeigte mit ausgestrecktem Arm. »Das hier hat schon einen Sprung. Das Kleine wird sicher gleich ausschlüpfen.«
    »Ja, sieht so aus.«
    »Können wir ein paar Minuten bleiben und zusehen?«
    »Ja, gern.« Ich setzte mich ins Gras und zog die Knie hoch, so daß mein langer blauer Jeansrock in losen Falten um mich herabfiel. Mehrere Minuten lang saßen wir so, still wie die Eier, die wir beobachteten. Keine von uns sprach, beide waren wir in unsere eigenen Gedanken versunken. Ich dachte an Sara und Michelle, daran, wie dankbar ich war, daß es ihnen gutging. Ich sehnte mich danach, sie an mich zu drücken, ihnen zu sagen, wie sehr ich sie liebte. Hatten sie überhaupt eine Ahnung davon? Sagte ich es ihnen häufig genug? »Wie fühlen Sie sich?« fragte ich schließlich.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Donna. Ihre Stimme war so hilflos, daß ich wieder an das Bild des toten Mädchens denken
mußte. »Einerseits bin ich so erleichtert, daß ich es kaum sagen kann.« Sie seufzte tief. »Aber andererseits wäre es beinahe eine Erlösung gewesen, wenn es Amy gewesen wäre, denn dann hätte ich ein für allemal gewußt, was ihr zugestoßen ist. Ich hätte Gewißheit gehabt, es wäre eine Art Abschluß gewesen. Nicht mehr dieses ständige Warten«, erklärte sie in einem Ton, der etwas Gehetztes bekommen hatte. »Dauernd warte ich darauf, daß das Telefon läutet, daß Amy zur Tür hereinkommt oder daß man sie irgendwo findet und ihren Mörder schnappt. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten kann.«
    »Ja, das muß sehr schwer sein«, antwortete ich und wünschte, ich könnte mehr sagen, irgend etwas sagen, was ihren Schmerz lindern würde.
    »Und durch den Prozeß wird es noch schwerer«, fuhr sie fort, und mir war sofort klar, daß sie von dem Prozeß gegen Colin Friendly sprach. »Jeden Tag les ich in der Zeitung, was dieses Ungeheuer den Frauen angetan hat, und frage mich, ob er es mit meiner Tochter genauso gemacht hat. Ich kann es wirklich kaum noch ertragen.«
    Ich rückte näher zu ihr hin und nahm sie in den Arm.
    »Wußten Sie, daß er ihnen die Nasen bricht?« fragte sie.
    »Was?«
    »Er bricht ihnen die Nasen. Das ist sozusagen seine persönliche Note. Er tötet sie offenbar nicht immer auf dieselbe Weise, aber er bricht ihnen jedesmal die Nase. Das habe ich in der Zeitung gelesen.«
    Ich erinnerte mich an Colin Friendlys Fotografie in der Palm Beach Post. (»Was siehst du, wenn du ihn ansiehst?« hatte ich meine Schwester gefragt. »Ich sehe einen kleinen Jungen, der verletzt worden ist«, hatte sie gesagt.)
    »Manchmal möcht ich am liebsten in diesen Gerichtssaal stürzen und mir diesen Kerl selbst vorknöpfen«, sagte Donna. »Damit er mir sagt, ob er Amy getötet hat. ›Los, sagen Sie es mir‹, würde ich am liebsten schreien. ›Sagen Sie es mir, damit

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