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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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den der Herr bestellt hat?«
    Zum erstenmal sah ich den Mann an, der mir am Tisch gegenübersaß. Robert Crowe, gepflegt, kultiviert, einfach blendend aussehend, hielt eine Flasche kalifornischen Chardonnay hoch, die in einem Kühler auf dem Tisch gestanden hatte.
    »Danke«, sagte ich zu dem Kellner und kam mir vor wie eine Vollidiotin. »Der ist völlig in Ordnung.«
    Robert sagte nichts, goß mir schweigend ein, berührte dann mit seinem Glas das meine. »Auf die Vergangenheit«, sagte er.
    »Auf die Vergangenheit.« Das klang ja nicht weiter gefährlich.
    »Und auf die Zukunft.«
    Ich kippte die Hälfte meines Weins hinunter.
    »Da ist jemand entweder sehr durstig oder sehr angespannt«, bemerkte er.

    »Der Morgen war nicht ganz einfach.«
    »Möchtest du darüber reden?«
    »Über alles, aber darüber bestimmt nicht.«
    »Dann sag mir, warum du mich partout nicht ansehen willst.«
    Ich lachte, so ein peinliches Blaffen der Verlegenheit, das einem auf den Lippen erstirbt. »Ich sehe dich doch an.«
    »Du siehst mein linkes Ohr an«, versetzte er.
    »Ein sehr hübsches Ohr.« Ich lachte wieder und sah ihm direkt in die warmen hellbraunen Augen. Du lieber Gott, dachte ich, während ich krampfhafte Anstrengungen machte, den Blickkontakt zu halten, nicht als erste zu zwinkern oder wegzusehen, was soll dieses alberne Teenagergetue?
    Ich hätte nicht herkommen sollen. Ich hätte meinem Instinkt folgen und vom Gericht aus direkt nach Hause fahren sollen. Statt dessen war ich eine Stunde lang ziellos herumgegondelt und war dann mit Vollgas den I-95 hinuntergebraust. Ich war fast in Pompano, als ich sah, daß es auf zwölf Uhr zuging. Ich machte kehrt, versuchte mir einzureden, ich wollte nach Hause fahren, wußte jedoch ganz genau, daß ich auf dem Weg zu Charley’s Crab war.
    Charley’s Crab und Robert Crowe, dachte ich und lächelte wohl, denn er hakte sofort ein.
    »Das ist viel besser«, sagte er. »Du hast ein sehr schönes Lächeln.«
    »Ein schiefes Lächeln«, versetzte ich.
    »Genau darum ist es so schön.«
    Ich zwinkerte und sah weg.
    Wir bestellten – gegrillten Lachs für ihn, Schwertfisch für mich. »Und Gazpacho«, sagte ich. Mit viel Knoblauch, dachte ich.
    »Tja, dann erzähl mir mal was vom Therapiegeschäft«, sagte er.
    Ich zuckte die Achseln. »Was gibt’s da schon zu erzählen? Viele Leute, viele Probleme.«
    »Was für Probleme?«
    »Mit Eltern, mit Kindern, Eheprobleme, außereheliche …« Ich brach ab, trank wieder von meinem Wein.

    »Und du löst diese Probleme?«
    »Ich bemühe mich.«
    »Wie lange praktizierst du schon?«
    »Über zwanzig Jahre«, antwortete ich. Ich fühlte mich sicherer jetzt, da wir uns auf festem, professionellem Boden befanden. »Ich hab als Sozialarbeiterin bei der Schulbehörde in Pittsburgh angefangen. Nach einer Weile hab ich da aufgehört und mit ein paar anderen Frauen zusammen eine familientherapeutische Praxis aufgemacht. Als wir nach Florida gezogen sind, hab ich meine eigene Praxis eröffnet.«
    »Du liebst den Wechsel, hm?«
    Ich mußte an meine Schwester denken, die ihr Leben lang von einem aussichtslosen Job zum anderen gewechselt hatte, von einer aussichtslosen Beziehung zur anderen.
    »Hoppla«, bemerkte Robert. »Gewitterwolken am Horizont. Woran denkst du?«
    Ich wollte jetzt wirklich nicht über Jo Lynn sprechen. Die hatte schon genug von meinem Tag in Anspruch genommen. »Ach, ich hab nur darüber nachgedacht, wie schnell die Zeit vergeht«, log ich. Es war einfacher so. »Und was hast du so getrieben? Wie bist du zu deinem eigenen Rundfunksender gekommen?«
    »Ich hab ihn geheiratet«, antwortete er rundheraus.
    Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, also sagte ich gar nichts.
    »Brandis Vater gehören mehrere Sender im Land.« Er lächelte. »Vor Frauen mit Getränkenamen sollte man sich hüten.«
    »Ich werd’s mir merken.«
    »Eigentlich heißt sie Brenda. Nach Brenda Marshall, einer Schauspielerin der vierziger Jahre. Mein Schwiegervater hat sie anscheinend sehr verehrt.«
    »Sie war mit William Holden verheiratet«, sagte ich.
    Robert warf mir einen erheiterten Blick zu. »Woher weißt du denn das?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das Gedächtnis ist ein merkwürdiges Ding. Ich kann mir mit Müh und Not meine eigene Telefonnummer
merken, aber ich weiß, daß Brenda Marshall einmal mit William Holden verheiratet war.«
    »Du bist eine interessante Frau, Kate Latimer«, sagte er.
    Ich wollte ihn korrigieren, ließ es dann aber sein. Er

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