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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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spezialisiert war, die Persönlichkeit von Serienmördern zu erforschen.
    »Wie oft haben Sie mit dem Angeklagten gesprochen?«
    »Zweimal.«
    »Zweimal!« Wieder schüttelte Jake Armstrong den Kopf und schaffte es, verblüfft auszusehen. Sehr clever, dachte ich. »Und wie lang haben diese Gespräche gedauert?«
    »Jede Sitzung hat mehrere Stunden gedauert.«
    »Jede Sitzung mehrere Stunden«, wiederholte der Verteidiger, mehrmals nickend diesmal. »Und diese Zeit hat Ihnen gereicht, um zu der Erkenntnis zu gelangen, daß Colin Friendly ein gefährlicher Psychotiker ist?«
    »Soziopath«, korrigierte Dr. Pinsent.
    Jake Armstrong lachte mit leisem Spott. Jo Lynn ebenfalls.
    »Nach einem etwa vierstündigen Gespräch mit meinem Mandanten sind Sie zu der Erkenntnis gekommen, daß er ein gefährlicher Soziopath und ein Sadist ist?«
    »Ja.«
    »Sagen Sie, hätten Sie diese Erkenntnis auch gewonnen, wenn Sie Mr. Friendly in anderem Zusammenhang begegnet wären?«
    »Ich verstehe die Frage nicht ganz.«

    »Nehmen wir an, Sie begegneten Mr. Friendly auf einer Party oder lernten ihn zufällig im Urlaub kennen und unterhielten sich ein paar Stunden lang mit ihm. Hätten Sie danach auch den Eindruck gehabt, er sei ein gefährlicher Soziopath und ein Sadist?«
    Zum erstenmal, seit er in den Zeugenstand gerufen worden war, wirkte Walter Pinsent nicht absolut sicher. »Wahrscheinlich nicht. Wie ich bereits gesagt habe, sind Soziopathen sehr häufig ausgesprochen charmante Menschen.«
    »Sie betrachten Colin Friendly als charmant?«
    »Er wirkt sehr umgänglich, ja.«
    »Ist das ein Verbrechen?«
    Der Staatsanwalt hob die Hand. »Einspruch.«
    »Stattgegeben.«
    »Ist es möglich, Dr. Pinsent«, fuhr der Verteidiger fort, »daß Sie bei Ihrer Einschätzung Mr. Friendlys von der Tatsache beeinflußt waren, daß er bereits verhaftet war, daß Ihre Gespräche mit ihm im Gefängnis stattfanden?«
    »Ich wurde von den Dingen beeinflußt, die er mir gesagt hat.«
    »Ich verstehe. Hat Colin Friendly Ihnen gesagt, er sei schuldig?«
    »Nein.«
    »Hat er nicht im Gegenteil wiederholt seine Unschuld beteuert?«
    »Doch. Aber das ist typisch für so eine Persönlichkeit.«
    »Interessant. Mit anderen Worten, wenn er seine Schuld gesteht, so heißt das, daß er schuldig ist, und wenn er seine Unschuld beteuert, nun, dann heißt das ebenfalls, daß er schuldig ist. Mich erinnert das ein bißchen an die Hexenjagd in Salem.«
    Der Staatsanwalt sprang auf. »Euer Ehren, ich beantrage, das zu streichen. Stellt Mr. Armstrong eine Frage, oder hält er hier einen Vortrag?«
    »Stattgegeben.«
    »Gut, ich formuliere das neu«, versetzte Jake Armstrong hörbar beschwingt. »Sehen Sie unter jedem Bett einen Serienmörder, Dr. Pinsent?«

    Eaves hatte kaum Zeit, sich auf seinem breiten Gesäß niederzulassen. Schon war er wieder auf den Füßen. »Einspruch!«
    »Ich ziehe die Frage zurück«, sagte Jake Armstrong schnell. »Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen.«
    »Der Zeuge kann gehen.«
    Der Richter verfügte eine Pause von zehn Minuten.
    »Du hast dich davon hoffentlich nicht täuschen lassen«, sagte ich zu Jo Lynn, während um uns herum die Leute aufstanden und sich streckten.
    »Täuschen wovon?« Sie sah mit zusammengekniffenen Augen in ihren Taschenspiegel und zog ihre Lippen nach.
    »Von diesem Versuch der Verteidigung, die Aussage zu verwässern.«
    »Was soll das heißen?« Sie hob den Spiegel ein wenig höher und griff zur Wimperntusche.
    »Das soll heißen, daß Dr. Pinsent ein hervorragender Fachmann ist«, begann ich.
    Sie unterbrach mich. »Er ist kein Psychiater. Er ist nicht einmal Mediziner.«
    »Er ist ein Spezialist beim FBI.«
    »Seit wann bist du ein Fan vom FBI?«
    »Ich sage nur, daß er weiß, wovon er redet.«
    »Er vertritt nur eine Meinung.«
    »Es ist die Meinung eines Experten«, erinnerte ich sie.
    »Du bist zu expertengläubig«, entgegnete sie. »Wenn einer studiert hat, heißt das noch lange nicht, daß er alles weiß.«
    Ich faßte das als Spitze gegen mich auf. Jo Lynn vertrat stets lauthals den einem Universitätsstudium überlegenen Wert praktischer Erfahrung.
    Werd jetzt nicht gleich bissig, sagte ich mir, entschlossen, freundlich zu bleiben. »Und, gibt’s sonst was Neues?« fragte ich, um das Thema zu wechseln.
    »Was zum Beispiel?«
    Ich zuckte die Achseln. »Hast du auf die Bewerbungen, die du rausgeschickt hast, schon Antworten bekommen?«

    Sie klappte ihren Taschenspiegel zu. »Du weißt genau,

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