Am Seidenen Faden
rübergeschaut und gelächelt, so als wollte er mir sagen, daß ich mir keine Sorgen machen soll, daß alles in Ordnung sei. Und Sara war so lieb. Sie hat meine Hand gehalten, und sie hat gesagt, daß Colin ihr gefällt, wie in der Geschichte von Robin Hood und Maid Marian. Sie hat mir richtig Mut gemacht, weißt du. Ich hab ihr gesagt, sie soll diese furchtbaren Sachen, die die Leute im Zeugenstand erzählt haben, einfach nicht glauben.«
»Und dann seid ihr ins Gefängnis gefahren«, sagte ich, um die Geschichte abzukürzen.
»Ja, wir sind ins Gefängnis gefahren, ich hab dir ja schon von dem Graben und den Schildern überall erzählt.«
»Ja, das hast du.«
»Ja, also, der Besuchsraum ist oben im ersten Stock. Ich kann dir sagen, das war der längste Marsch meines Lebens.« Sie kicherte. »Ich war wahnsinnig nervös. Schließlich kommt man in so einen langen Raum mit einer Trennwand aus Glas, die Besucher sitzen auf der einen Seite und die Gefangenen auf der anderen, und man muß sich über Telefone miteinander unterhalten. Es
ist wirklich albern. Ich meine, wir mußten doch sowieso schon unsere Handys, unsere Wickeltaschen und unsere Hüte abgeben, warum müssen wir dann noch hinter Glas sitzen? Sie lassen nicht mal eine Berührung zu! Ich finde, das ist eine grausame Bestrafung, meinst du nicht?«
Ich sagte nichts. Ich empfand dieses Gespräch als eine grausame Bestrafung.
»Na schön, ich hab also hinter dieser Glaswand gewartet. Es waren auch noch ein paar andere Frauen da, zu Besuch bei ihren Männern oder Freunden oder sonst wem, aber als Colin reingebracht wurde, haben sie alle wie auf Kommando aufgehört zu reden und ihn angestarrt. Ich meine, er ist eine richtige Berühmtheit. Er hat eine Aura, weißt du.« Sie legte eine Pause ein. Ich vermutete, sie tat es um der Wirkung willen, und bemühte mich, ein angemessen beeindrucktes Gesicht zu machen. »Als der Beamte ihn zu seinem Platz geführt hat, hat er mich die ganze Zeit angeschaut und gelächelt, du weißt schon, dieses traurige kleine Lächeln, das so typisch für ihn ist. Ich war einfach hin und weg, ich kann’s dir gar nicht beschreiben. Dann hat er sich gesetzt und seinen Hörer genommen, und ich hab meinen genommen, und wir haben angefangen miteinander zu reden, als hätten wir uns schon unser Leben lang gekannt. Er stottert ein kleines bißchen, aber das ist richtig süß. Er hat mir gesagt, wie dankbar er mir für meine Unterstützung ist und wie gut es ihm tut, mich jeden Tag im Gerichtssaal zu sehen und zu wissen, daß ich an seine Unschuld glaube. Er ist unglaublich höflich, Kate. Ein richtiger Gentleman. Und er hat Humor. Ich glaube, er würde dir gefallen.«
Ich mußte mich räuspern, um nicht laut herauszuschreien, und hielt den Blick starr zu Boden gerichtet.
»Er wollte alles über mich wissen, was ich mag, was ich gern tue und so. Ach, und er hat auch nach dir gefragt.«
»Was?« Mit einem Ruck, als hätte jemand an einer Schnur gezogen, riß ich meinen Kopf in die Höhe.
»Er kennt dich doch vom Gericht.« Ihr Ton klang plötzlich aggressiv.
»Und was hast du ihm über mich erzählt?«
»Daß du meine Schwester und Therapeutin bist. Darüber hat er gelacht. Er hat gesagt, er müßte dich gelegentlich mal kennenlernen.«
Mich schauderte. Ich spürte, wie mir kalt wurde.
»Und Sara fand er ganz hinreißend.«
»Guter Gott!«
»Er hat gesagt, daß …«
»Nimm’s mir nicht übel, aber es interessiert mich wirklich nicht, was dieses Ungeheuer sonst noch zu sagen hatte.« Ich trat zur Haustür, riß sie auf und schrie der schattenhaften Gestalt im Auto zu: »Sara, komm auf der Stelle herein.«
»Werd bloß nicht böse, wenn du siehst, was sie getan hat«, begann Jo Lynn. »Ich finde, es sieht einfach toll aus.«
»Was sieht toll aus? Wovon redest du?«
»Es war nicht meine Idee.«
Hätte ich nicht gewußt, daß es Sara war, hätte ich sie wahrscheinlich gar nicht erkannt. An der Frau, die aus dem roten Toyota stieg, waren mir nur die Körpergröße und die Fülle ihres Busens vertraut. Die vorher langen braunen Haare waren auf Schulterlänge geschnitten und aschblond gebleicht. Die indische Seidenbluse und die Blue jeans waren mit einem engen weißen T-Shirt und einem rotweiß karierten Miniröckchen vertauscht worden.
»Die Kleider sind von mir«, bemerkte Jo Lynn überflüssigerweise. »Diese Hippieklamotten passen nicht zu der neuen Frisur.«
Sie sieht aus wie eine Nutte, dachte ich, viel zu entsetzt, um etwas
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