Am Seidenen Faden

bringen.«
    »Zu welcher Einsicht?«
    »Daß er diese Frauen nicht umgebracht hat.« Jo Lynns Stimme klang gereizt und erbittert. »Daß er diese schrecklichen Dinge, die man ihm vorwirft, niemals tun könnte.«
    »Was glaubst du denn, wann der Prozeß zu Ende sein wird?« Noch viele solcher Gespräche, dachte ich, würde ich nicht ertragen können.
    »In spätestens zwei Wochen. Die Staatsanwaltschaft ist morgen mit ihrer Beweisführung fertig, dann kommt die Verteidigung an die Reihe. Wenn alles nach Plan läuft, ist Colin zu Weihnachten schon wieder draußen.«
    »Und wenn nicht?«
    »Er kommt bestimmt raus.«
    »Und dann?«
    »Dann können wir endlich wieder anfangen zu leben.«

    »Klingt ja wunderbar.«
    »Kommst du am Mittwoch mit ins Gericht?«
    »Nein. Ausgeschlossen.«
    »Bitte! Es würde mir eine Menge bedeuten.«
    »Wieso?« fragte ich. »Du weißt, ich teile deine hohe Meinung von dem Mann nicht.«
    »Ich möchte, daß du mit eigenen Ohren hörst, was Colin zu sagen hat. Ich bin überzeugt, wenn du ihm zuhörst, ich meine, wirklich zuhörst, wie du das bei deinen Klienten tust, dann wirst du deine Meinung über ihn ändern.«
    »Das bezweifle ich.«
    »Es ist mir wirklich wichtig, Kate.«
    »Warum ist es wichtig?«
    Es blieb einen Moment still. »Weil ich ihn liebe.«
    »Also komm …«
    »Doch, Kate. Ich liebe ihn wirklich.«
    »Lieber Gott, du kennst ihn doch nicht einmal.«
    »Das ist nicht wahr. Ich sitze seit fast zwei Monaten jeden Tag in diesem Gerichtssaal. Ich weiß alles über ihn.«
    »Du weißt nichts.«
    »Ich besuche ihn jede Woche.«
    »Du sprichst durch eine Glaswand mit ihm.«
    »Ja, das stimmt. Und er spricht mit mir. Und wir verstehen uns. Wirklich. Er sagt, daß ich ihn besser kenne als jeder andere.«
    »Ja, weil er alle anderen umgebracht hat!« schrie ich völlig außer mir.
    Wieder trat eine Pause ein, eine längere diesmal. »Das war deiner wirklich nicht würdig«, erklärte Jo Lynn. »Ich hätte gedacht, daß du bei deiner Ausbildung ein bißchen mehr Verständnis für andere hast.«
    »Hör mir doch mal zu, Jo Lynn«, sagte ich, es von einer anderen Seite versuchend, »du bist die einzige, die mir in diesem Zusammenhang wichtig ist. Ich möchte nicht erleben, daß du wieder verletzt wirst.«
    Ihre Stimme wurde weich. Ich konnte beinahe die Erleichterung
in ihrem Gesicht sehen. »Aber deswegen brauchst du keine Angst zu haben. Es wird mich niemand verletzen. Er liebt mich, Kate. Er sagt, ich bin das Beste, was ihm je zugestoßen ist.«
    »Ja, davon bin ich überzeugt«, stimmte ich zu.
    »Weißt du, was er zu mir gesagt hat, als ich am Freitag bei ihm war?«
    Ich schüttelte den Kopf, sagte nichts.
    »Er hat gesagt, ich sähe so süß aus wie die erste Erdbeere im Frühjahr.«
    Ich mußte lächeln, obwohl ich es nicht wollte.
    »Du lächelst. Ich merke, daß du lächelst. Das ist doch wirklich nett, oder? Ich meine, wann hat Larry das letzte Mal so was zu dir gesagt?«
    Das ist eine Weile her, dachte ich, äußerte mich aber nicht. Ich verspürte einen Anflug von Beklemmung, als meine Gedanken von Larry zu Robert wanderten.
    »Du kannst also aufhören, dich meinetwegen zu sorgen. Mir passiert bestimmt nichts. Wenn Colin und ich diese Geschichte miteinander durchstehen können, dann können wir alles meistern. Ich möchte, daß du dich für uns freust, Kate. Und ich brauche dich. Kannst du nicht dieses eine Mal wenigstens noch mitkommen? Dann fahr ich auch mit dir zusammen am Wochenende zu Mama. Komm, sag ja.«
    Ich schloß die Augen und drückte meine Stirn in meine Hand. »Okay, ich komme mit«, sagte ich leise.
    »Danke, Kate«, erwiderte sie. »Es wird dir bestimmt nicht leid tun.«
    Da täuschte sie sich, das wußte ich. Dennoch sagte ich: »Gut, wir sehen uns am Mittwoch.«
     
    Einige interessante Fakten über das Gerichtsgebäude von Palm Beach County: Mit einer Gesamtfläche von nahezu 65.000 Quadratmetern ist es das größte derartige Bauwerk im Staat Florida und eines der größten seiner Art im ganzen Land; es wurde von den Architekten Michael A. Shiff & Associates und Hansen Lind
Meyer entworfen und vom George Hyman Bauunternehmen gebaut; der äußere Torbogen des Säulengangs ist fünfzehneinhalb Meter und der Wasserfall im Inneren zehn Meter hoch; die Kuppeldächer auf dem Gebäude korrespondieren mit den Doppeltürmen des Breakers Resort Hotel, die östlich davon zu sehen sind.
    Ich entnahm diese Weisheiten einer Broschüre, die ich mir am Informationsschalter im