Am Seidenen Faden
suchte nach Zeichen der Intimität zwischen ihnen, nach verräterischen Hinweisen darauf, ob sie noch miteinander schliefen oder nicht, nach geheimen Blicken, verstohlenen
Berührungen. Aber abgesehen von jenem ersten Handtätscheln war da nichts, was mir Aufschluß gegeben hätte. Es konnte sein, daß sie miteinander schliefen; es konnte sein, daß sie es nicht taten.
Und was macht das schon für einen Unterschied? fragte ich mich zornig, spülte meinen Kaffee in einem langen Zug hinunter und stand auf. »Tut mir leid, aber ich muß jetzt wirklich gehen. Ich bin mit meinem Mann verabredet«, log ich mit einem Blick auf meine Uhr, um die Lüge glaubhaft zu machen.
»Vielleicht könnten wir uns hier mal zum Abendessen treffen«, schlug Roberts Frau vor.
Ich murmelte irgend etwas, das offenbar nach Zustimmung klang, weil sie daraufhin sagte, sie würde anrufen, um etwas auszumachen. Dann ging ich und kaufte meinem Mann die teuerste Garnitur Golfschläger, die ich finden konnte.
14
In den folgenden Wochen begegnete man Colin Friendly überall – im Fernsehen, auf den Titelseiten der Zeitungen, auf den Umschlagseiten sowohl der regionalen als auch der nationalen Zeitschriften. Der Prozeß näherte sich seinem Ende, und es wurde viel darüber spekuliert, ob Colin Friendly zu seiner eigenen Verteidigung in den Zeugenstand treten würde. Die Gerüchte waren zahlreich und widersprüchlicher Natur. Die Fort Lauderdale Sun Sentinel behauptete, er würde ohne jeden Zweifel als Zeuge aussagen; im Miami Herald hieß es, seine Anwälte würden das niemals zulassen. Die Palm Beach Post lag mit ihrer Einschätzung genau dazwischen: Colin Friendly würde als Zeuge aussagen, jedoch gegen den Rat seiner Anwälte.
In einem Punkt jedoch waren sich fast alle einig – Colin Friendly würde schuldig gesprochen werden. Die einzige Frage war, wie lange die Geschworenen brauchen würden, um zu diesem
Spruch zu kommen. Meine Schwester war selbstverständlich unerschütterlich in ihrem Glauben, daß man Colin Friendly nicht nur nicht schuldig sprechen würde, sondern daß er tatsächlich nicht schuldig sei.
»Hast du heute morgen in der Post das Profil gelesen?« fragte sie, als sie mich anrief. Ihre Stimme war leise, klang, als wäre sie den Tränen nahe. Das Gericht war in die Mittagspause gegangen, und sie hatte mich zwischen zwei Klienten erwischt. »Da war so vieles falsch! Wirklich, die Hälfte von dem, was sie geschrieben haben, stimmt nicht. Es macht mich einfach wütend, weil sie sich einbilden, sie können sich alles erlauben, und das können sie natürlich auch, denn was kann Colin schon gegen sie unternehmen – soll er sie vielleicht verklagen?«
Ich sagte nichts. Ich wußte, daß eine Antwort nicht nötig war.
»Sie haben zum Beispiel geschrieben, er sei einsfünfundachtzig groß. Seit wann? In Wirklichkeit ist er nur knapp einsachtzig. Sie behaupten, er wiegt fünfundachtzig Kilo. Das hat er vielleicht gewogen, bevor er festgenommen wurde. Er hat in diesem entsetzlichen Gefängnis mindestens zehn Kilo abgenommen. Das Essen ist so schlecht. Aber die Zeitungen wollen ihn unbedingt als diesen bedrohlichen Riesenkerl hinstellen, drum geben sie einfach hier ein paar Zentimeter und dort ein paar Kilo dazu. Bald werden sie ihn zu King Kong gemacht haben. Aber du hast ihn ja gesehen, er sieht doch wirklich nicht bedrohlich aus.«
»Ich glaube nicht, daß seine Größe und sein Gewicht von entscheidender Bedeutung sind«, sagte ich.
»Die Zeitungen bauen ganz bewußt ein falsches Bild auf. Und ihre Artikel«, entgegnete sie, »sind typisch für die schlampige Berichterstattung, die heutzutage unter dem Namen Journalismus läuft. Sie haben zum Beispiel geschrieben, seine Mutter habe Ruth geheißen. Stimmt nicht. Sie hieß Ruta. Zuerst hab ich gedacht, es wär vielleicht ein Druckfehler, aber sie haben es immer wieder geschrieben, es war also offensichtlich einfach Schlamperei. Sie behaupten, er käme aus armen Verhältnissen, aber seine Urgroßeltern waren in Wirklichkeit reich. Sie haben zwar alles
während der Depression verloren, aber trotzdem – das hätten sie doch in ihren Berichten wenigstens erwähnen können. Ich meine, wenn sie noch nicht einmal die simpelsten Tatsachen richtig hinkriegen, wie soll man sich dann auf irgendwas verlassen, was sie drucken? Da kann man doch gar nichts mehr ernst nehmen.«
»Ich dachte, die Reporter wären deine Freunde.«
»Na hör mal, denen kannst du erzählen was du willst, die
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