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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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gerufen, wo Sie selbst unter Zeitdruck sind, damit ich hier wiederhole, was ich seit eh und je predige. Sicher haben Sie mir noch etwas anderes zu sagen.»
    Gorfinkle nickte zustimmend. Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er: «Wissen Sie, Rabbi, ich glaube, Sie begreifen nicht richtig, worum es in einer Gemeinde geht. Ich denke, kein Rabbiner begreift das so ganz. Ihr seid da alle viel zu engagiert; ihr habt nicht den nötigen Abstand.»
    «Ach ja? Nun, vielleicht können Sie es mir erklären.»
    Geben Sie sich ehrlich und offen, Ihr Partner soll das Gefühl haben, dass Sie nichts zu verbergen suchen.
    Gorfinkle ignorierte die Ironie. «Sie betrachten die Gemeinde als eine Vereinigung, die von einigen frommen Leuten gegründet wird und dann mit der Zeit religiös Interessierte anzieht …» Er schüttelte den Kopf: «Es gibt hier vielleicht einen einzigen wirklich frommen Mann, nämlich Wasserman; alle andern sind an der Synagoge lediglich als Organisation interessiert. Wenn eine solche Organisation erst erfolgreich ist – und dazu braucht es viel Zeit und Arbeit –, dann braucht man ganz andere Leute an der Spitze, weil die alte Leitung allmählich zu einem Hemmschuh wird. Manchmal kommen sich die Gründungsmitglieder so wichtig vor, dass man mit ihnen nicht mehr auskommen kann; sie führen sich verdammt selbstherrlich auf, nur weil sie von Anfang an mit dabei waren – und damit bürsten sie alle später Dazugekommenen gegen den Strich … Genau das ist auch bei uns passiert, und in gewissem Sinn bin ich deswegen zum Vorsteher gewählt worden … Aber das ist nicht alles: Eine Organisation auf die Beine zu stellen ist eine Sache; sie am Leben zu erhalten eine ganz andere. Für das Erste braucht man einen ganz anderen Typ als für das Zweite.»
    «Immerhin braucht man in beiden Fällen Juden», bemerkte der Rabbi.
    «Das ist nicht der springende Punkt, Rabbi.»
    «Ach ja? In einer jüdischen Gemeinde?»
    «Allerdings.» Gorfinkle nickte. «Sie wissen, dass es in unserer Gemeinde zwei … na – Fraktionen gibt: die meine und die von Meyer Paff. Paff geht es aber bei all seiner orthodoxen Einstellung gar nicht so sehr um Judentum oder Religion ganz allgemein … Glauben Sie, dass die Leute Gemeindearbeit leisten, weil sie religiös sind? Oder dass Religion für sie wichtig ist?» Er schüttelte heftig den Kopf. «Nein, Rabbi. Sie sind lediglich an der Synagoge als Organisation interessiert, das ist alles.
    Sehen Sie mal – jeder will doch etwas sein – jemand sein, ja? Man ist zur Schule gegangen, dann aufs College, man hat immer davon geträumt, mal ein großes Tier zu werden, eine Rolle zu spielen … Und wie geht’s dann weiter? Man nimmt ’ne Stelle an oder macht ein kleines Geschäft auf und denkt sich, endlich geht’s voran. Aber mit fünfunddreißig wird einem so langsam klar, dass man weder Präsident der Vereinigten Staaten wird noch General, noch Nobelpreisträger; man merkt allmählich, dass sich da nicht mehr viel ändern wird: morgens auf zur Arbeit, abends heimkommen und schlafen, damit man am nächsten Tag wieder arbeiten kann … Und das bleibt dann so, bis man stirbt. Ein harter Brocken, sich damit abzufinden, besonders in einer Gesellschaft wie der unseren, wo der Erfolg zählt und sonst nichts. Was tun die Leute also? Sie werfen sich irgendeiner Organisation in die Arme; sie werden fanatische Vereinsmeier. In einer Yankee-Stadt wie Barnard’s Crossing ist es für unsereinen sehr schwer, in der Kommunalpolitik Erfolg zu haben – für Nichtjuden übrigens auch, wenn sie neu zugezogen sind. Aber die Synagoge, das ist was anderes; da kann jeder von uns beweisen, was er kann. Man muss nur ein bisschen aktiv sein, dann fällt einem mit der Zeit automatisch ein Amt zu – und wenn es nur der Vorsitz in irgendeinem Ausschuss ist, man wird doch gelegentlich mal in der Zeitung erwähnt … Sie meinen, das sei lächerlich? Täuschen Sie sich nicht! Darauf kommt es den Leuten an – genau darauf.
    Aber zurück zu Paff. Als er noch ein Amt hatte, war er ein wichtiger Mann. Damit ist es jetzt vorbei – und das wurmt ihn, Rabbi!»
    «Wenn es ihm nur darum ginge», wandte der Rabbi ein, «hätte er dann so große Summen gespendet? Hätte er dann seine ganze freie Zeit der Gemeindearbeit geopfert?»
    Gorfinkle zuckte die Achseln. «Was für Sie eine große Summe ist, Rabbi, das ist doch für Meyer Paff ein Pappenstiel! Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Auch wenn man zu Geld kommt, kann man seinen

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